Eine Kritik von "niklas90":
Sam Worthington spielt einen von der Hüfte abwärts gelähmten Ex-Marine, der an einem Militärprojekt auf einem entfernten Planeten namens Pandora teilnimmt. Dort bauen die stationierten Menschen einen enorm wertvollen Rohstoff ab, auf dessen größter Quelle sich ein Stamm von Ureinwohnern, Navi genannt, angesidelt hat. Unter der Leitung einer Wissenschaftlerin, die für die zerstörerischen Abbauarbeiten wenig übrig hat, gespielt von Sigourney Weaver, schlüpft der Ex-Marine, der trotz seiner Behinderung keine Herausforderung scheut, in eine genetische Kreuzung aus Mensch und Navi, in seinen Avatar. Von seinem Vorgesetzten, gespielt von Stephen Lang, und dem Leiter der Mission, gespielt von Giovanni Ribisi, erhält er den Auftrag, die Ureinwohner auszuspionieren, lernt diese, ihre Tradition und ihre Religion jedoch nach und nach zu schätzen und zu lieben.
Ach, wie schnell die Zeit vergeht. Was mit James Camerons "Abyss" 1989 mit der etwas plastischen Animation von schwebendem Wasser und diffusen Wassergestalten begann, nahm 1991 in Camerons "Terminator 2" deutliche Züge an, bevor man in Stephen Spielbergs "Jurassic Park" 1993 schließlich überdeutlich vor Augen geführt bekam, wozu die Tricktechnik in der Lage ist. Seitdem setzten die Emmerichs, Spielbergs, Raimis, Jacksons und Bays dieser Welt immer wieder neue tricktechnische Meilensteine, von denen besonders "Independence Day", "Herr der Ringe", "Spider Man" und "Transformers" hervorzuheben sind. Nun ist es also erneut James Cameron, der die Latte höher legt und sich nicht nur von mechanisch bewegten Monstern und Puppen, oder Pyrotechnik löst, sondern von beinahe allem, was einen Film ausmacht, inklusive einer herkömmlichen Kulisse und dies über die volle Laufzeit.
Und visuell ist "Avatar" noch atemberaubender ausgefallen, als man es trotz der extrem hohen Erwartungshaltung hätte erwarten oder erhoffen können. Camerons Schöpfung Pandora wirkt, wenn auch komplett am Computer entstanden, genauso real, als hätte man auf Neuseeland oder am Amazonas gedreht. Dabei gelingen Cameron extrem beeindruckende Aufnahmen aus der Totalen, etwa von den schwebenden Felsen, oder vom gigantischen Baum der Navi, die ihre Wirkung immer wieder aufs neue entfalten. Aber auch im Detail überzeugt der künstlich gestaltete Planet jederzeit, bietet immer wieder neue Schauplätze, einer faszinierender als der andere, und fesselt mit seiner innovativen, farbenfrohen Gestaltung bis zum Ende und hätte dies vermutlich auch weitere drei Stunden getan.
Die Tierwelt ist ebenfalls mehr als gelungen kreiert und überrascht mit dem hohen Maß an Einfallsreichtum, mit dem die Macher hier ans Werk gegangen sind, immer wieder aufs neue, während die Bewegungsabläufe vollkommen natürlich wirken und auch das Design der technischen Apperaturen der Menschen optisch sehr ansprechend gerät. Und auch ansonsten ist die Tricktechnik über jeden Zweifel erhaben. Die Mimik der Ureinwohner Pandoras wirkt nicht minder echt, als es in Peter Jacksons "Herr der Ringe" der Fall war. Das komplette Ausmaß der Cameron-Schöpfung entfaltet sich im Endeffekt in den Action-Sequenzen, die kaum dynamischer und beeindruckender sein könnten, während sie vom Altmeister zu jedem Zeitpunkt übersichtlich und gekonnt in Szene gesetzt werden.
Dass aus Cameron doch noch ein begnadeter Geschichtenerzähler hätte werden können, war vor allem in "Titanic", der vor allem aufgrund seiner dramaturgischen Stringenz auf ganzer Linie zu überzeugen wusste, ersichtlich, aber in "Avatar" verschenkt der Oscar-Preisträger durchaus Potential, auch wenn dies "Avatar" kaum schwächer erscheinen lässt; zu beeindruckend sind die Bilder, zu liebevoll ist die Utopie gestaltet, zu fesselnd ist das Gesamtwerk. So leistet sich Cameron besonders bei der Story den einen oder anderen Fehler, besonders beim Plot, der unterm Strich leicht varriiert nach dem gängien Schema, das mit "Der mit dem Wolf tanzt" begründet wurde, allzu kalkulierbar seinem vorhersehbaren Ende entgegenstrebt. Da die Geschichte aber dramaturgisch schlüssig ist und durchaus zu fesseln vermag, da Cameron die emotionalen, menschlichen Facetten in seiner Computer-Schöpfung nicht außer Acht lässt, fällt die Klischeehaftigkeit des Gezeigten kaum weiter ins Gewicht, zumal auch die eine oder andere amüsante Szene gegeben ist, die "Avatar" zudem zu einem sehr sympathischen Projekt machen.
Auch die Konstruktion der Hauptfigur gelingt unterm Strich ordentlich, so wird Cameron dem zerrissenen Charakter im Mittelteil durchaus gerecht und holt ihn immer dann, wenn er sich im pantheistischen Naturvolk, seinen Sitten und seiner Religion verliert, wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, in eine Welt der Profitgier und Unmenschlichkeit, in der der Ex-Marine zu allem Überfluss auch noch von der Hüfte abwärts gelähmt ist. Die Verbundenheit mit seinem Avatar, seinem zweiten/neuen Ich ist daher im Grunde nur verständlich und nachvollziehbar. Die Nebenfiguren entsprechen derweil weitestgehend den gängigen Klischees, angefangen beim kernigen, schießwütigen Militär-Kommandanten, über die friedvolle Wissenschaftlerin, bis hin zur sympathischen geliebten unter den Navi, aber auch hier sei noch einmal hervorgehoben, dass es allenfalls marginale Mängel sind, die den ansonsten hervorragenden Gesamteindruck trüben, zumal auch der Score seinen Zweck voll erfüllt und immer wieder an den richtigen Stellen Akzente setzt, die richtige Atmosphäre kreiert und den Film vorantreibt. Etwas ärgerlich ist allerhöchstens das etwas überzogene Plädoyer zur Zerbrechlichkeit einer Biosphäre, die mit dem moralischen Dampfhammer für Klima- und Umweltschutz eintritt.
Darstellerisch gibt es wenig zu bemängeln, wobei die menschlichen Akteure sowieso größtenteils zu Randerscheinungen verkommen. So ist Sam Worthington, der schon in "Terminator 4" keinen wirklich bleibenden Eindruck hinerlassen konnte, auch hier durchaus austauschbar, spielt aber ordentlich und bringt seinen Part recht sympathisch auf die Leinwand. Daneben ist Sigourney Weaver überzeugend wie eh und je, zumal sie in "Gorillas im Nebel" einen sehr ähnlichen Part schon einmal hervorragend gemeistert hat, während auch Stephen Lang, der als militanter Colonel ein perfektes, kerniges Feindbild auf die Leinwand bringt, durchaus zu gefallen weiß. Die restlichen Darsteller machen ihre Sache ebenfalls gut, so überzeugen auch Michelle Rodriguez und Giovanni Ribisi, die besonders lobend zu erwähnen sind.
Fazit:
James Cameron übertrifft alle anderen Blockbuster des Jahrs um Lägen und setzt einen neuen tricktechnischen Meilenstein. Visuell fesselt der berauschende, knapp dreistündige Spezial-Effect mit den atemberaubenden Naturaufnahmen von Pandora, dem fantastischen Design und den fulminanten Action-Szenen über die volle Laufzeit und lässt den Zuschauer dabei auch auf der dramaturgisch/menschlichen Ebene nicht im Stich. Dass hier und da kleinere dramaturgische Fehler vorhanden sind und die Story ein wenig an ihrer Kalkulierbarkeit leidet, lässt sich dabei nicht abstreiten, aber unterm Strich ist es doch der beste und sympathischste Vertreter des Popcorn-Kinos seit "Transformers". Dass man das cineastische Monument, dass die Möglichkeiten der Tricktechnik und die Virtuosität von James Cameron kaum eindrucksvoller bezeugen könnte, unbedingt im Kino sehen sollte, ergibt sich daher praktisch von selbst. Willkommen im neuen Jahrzehnt.
96%