Eine Kritik von "vodkamartini":
„Der mit der Technik tanzt"
James Cameron ist ein Visionär. Ein Visionär des Wuchtigen, des Brachialen. Ob Killerroboter aus der Zukunft, beinahe noch gefährlichere und tödlichere monsterähnliche Aliens, oder schlicht ein schnöder, wenn auch riesiger Eisberg - stets bricht das Unheil mit brachialer Gewalt über die Cameronschen Helden herein. Am Ende triumphiert der Mensch nicht etwa dank modernster Waffen- oder Schiffsbautechnik, sondern lediglich augrund seines unbeugsamen Durchhaltewillens. Der häufig unreflektiert als kühler Technikfetischist verschrieene Regisseur erweist sich bei genauerem Hinsehen als eher altmodischer, wenn nicht gar romantischer Geschichtenerzähler.
Camerons Technikverliebtheit bezieht sich auch weit mehr auf den handwerklichen Bereich des Filmemachens als auf den inhaltlichen. Was er tricktechnisch einmal mit geringem (Terminator) und dann mit riesigem Budget (T2) auf die Beine stellte, genießt zurecht seinen bahnbrechenden Ruf. Auch bei Aliens und Titanic hatten Set- sowie Productiondesign und vor allem visuelle Effekte seinerzeit Referenzcharakter.
Diese unbedingte Anspruch filmtechnisch stets „State of the Art" zu sein, dürfte nicht der einzige Grund für seine 12-jährige Regiepause gewesen sein, aber definitiv ein nicht unwesentlicher. Sieht man sich die in den letzten Jahren mit der Motion-Capture-Technologie entstandenen Filme (u.a Der Polarexpress oder Beowulf) an, so kann man gut verstehen, dass sich der „Meister" so lange Zeit gelassen hat. Die hölzerne und wenig lebensechte Mimik der Figuren dürfte bei einem Perfektionisten wie Cameron zu kalten Schweißausbrüchen geführt haben. Ähnliches gilt für die bisher wenig beindruckende 3D-Technik. Da beide Verfahren in seinem neuen Science Fiction-Epos Avatar eine zentrale Rolle spielen sollten, galt es zunächst einmal das Anspruchsniveau des Regisseurs zu erreichen. Und das erwies sich offenbar schwieriger und vor allem langwieriger als gedacht.
Ob es wirklich 12 Jahre „Entwicklungsarbeit" sein mussten, oder ob nicht doch eher der immense Druck auf einen Nachfolger des erfolgreichsten Films aller Zeiten zu einer solch langen Schaffenspause geführt hat, ist letztlich ohne Belang. Was zählt ist das Ergebnis und das ist schlicht überwältigend. Es ist gar nicht mal so sehr der eine enorme räumliche Tiefe schaffende 3D-Effekt, oder die ebenfalls damit verbundenen, gestochen scharfen Bilder. Es ist vor allem die Perfektion mit der eine knallbunte, exotische Fantasiewelt und ihre blauhäutigen Bewohner erschaffen wurden. Nie zuvor gab es ein lebendigeres und glaubhafteres Minenspiel im Motion-Capture-Verfahren zu bewundern. Nie zuvor war es schwerer, im gleichen Bild gezeigte künstliche und reale Elemente auseinander zu halten. Und nie zuvor wirkte eine digital erschaffene Welt realer. Flora und Fauna des Planeten Pandora sind eine faszinierende Mischung aus tropischem Regenwald und einer fluoreszierenden Tiefseelandschaft. Visuell ist Avatar definitiv durchgängig ein rauschhaftes Erlebnis.
Die spektakuläre Optik kann allerdings die Konventionalität und Banalität der erzählten Geschichte nicht dauerhaft übertünchen. Hat man sich erst einmal an den Bilderrausch gewöhnt, macht sich der arg simple Plot mehr oder weniger schmerzhaft (je nach Erwartungshaltung) bemerkbar. Die Geschichte des von einem profitgierigen menschlichen Industriekonzern bedrohte Naturvolkes der Na´vi bietet allzu Bekanntes aus dem Indianerfilm-Genre. Mit Pfeil und Bogen versuchen sich die Einwohner Pandoras gegen die waffenstarrenden Eindringlinge zur Wehr zu setzten. Die Natur ist ihnen heilig. Sie leben in völligem Einklang mit ihrer Umwelt, die sie als spirituelle Kraft begreifen. Der Mensch bricht wie eine Urgewalt in dieses Idyll ein. Es geht um Ausbeutung, Zerstörung und Unterwerfung.
Der von einem großen deutschen Nachrichtenmagazin kolportierte Vergleich mit der Plotstruktur von Winnetou I ist gar nicht einmal so weit hergeholt. Allerdings hat sich der in den 1960er Jahren noch wirksame naive Charme dieses Indianermärchens im 21.Jahrhundert dann doch deutlich überlebt. Eine eindimensionale Schwarz-Weiß-Zeichnung aller wesentlichen Charaktere sowie eine in Verlauf und Ausgang völlig vorhersehbare Erzählung ist für einen sehnsüchtig erwarteten und mit riesigen Ballihoo angekündigten Blockbuster heutiger Provenienz einfach zu wenig. Zumal man dies James Cameron trotz der Actionlastigkeit seiner früheren Hits bisher nicht vorwerfen konnte. Zwar siegten auch hier Herz und Hirn über Technik und brachiale Gewalt. Allerdings hatte man nicht nach fünf Minuten den gesamten Plot durchschaut.
Auch aus der an sich faszinierenden Avatar-Idee wird zu wenig gemacht. Im Film verfügen die Menschen über die Technik Hybride zwischen ihresgleichen und den Na´vi zu erschaffen. Die Avatare besitzen das Bewusstsein sowie die Gedanken und Gefühle ihres menschlichen Pendants. Um die Na´vi auszuspionieren, schicken die auf Pandora eingesetzten Soldaten den querschnittsgelähmten Ex-Marine Jake Sully (Sam Worthington) auf eine „Undercover-Mission" der besondere Art. Man ahnt schnell, welche Auswirkungen dies haben wird. Zumal Jake langsam das Vertrauen des infiltrierten Stammes und die Liebe der Häuptlingstochter gewinnt. Old Shatterhand lässt grüßen. Am Ende ist der weiße Eindringling der bessere Indianer und will mit seinen „Artgenossen" nichts mehr zu tun haben - dies ebenfalls ein beliebtes Versatzstück des Indianerfilms. Dass Sam dann auch noch relativ früh als „Messias-Ähnlicher" Auserwählter präsentiert wird, ist ein ebenfalls filmhistorisch inflationär kolportiertes mythisches Motiv und macht das Problem der Vorhersehbarkeit nicht gerade geringer. Insgesamt läuft Sams Entwicklung viel zu geradlinig und auch die zwangsläufig eingestreuten Konflikte lösen sich sehr schnell in Wohlgefallen auf. Die anderen Avatare werden im Hinblick auf mögliche Twists oder dramatische Nebenhandlungen vom Drehbuch leider ebenfalls weitestgehend ignoriert.
Simplizität herrscht auch bei der Aussage des Films. Die durchaus ehrenwerte ökologische Botschaft wird mit dem Dampfhammer präsentiert. Einen großen Anteil an der Deutlichkeit dieser „Habt Respekt vor der Natur"- Botschaft hat der schmalzige Soundtrack von James Horner. Die Klänge vor allem zu den Stammesritualen der Navi sind kitschiger Öko-Pop, der eher zu einem kinderorientierten Disney-Märchen passen würde. Anstatt die fremdartige und teilweise bedrohliche Atmosphäre Pandoras durch subtile Klänge zu unterstreichen, kleistert Horner alles mit einem wenig inspirierten Best-of seiner früheren Werke zu.
Bleibt die Action. Hier zeigt der Terminator-Erfinder, dass er auch nach zwölf Jahren nichts verlernt hat. Zwar kann der Film die anfangs aufgebaute Erwartung einer menschenfeindlichen Hölle nicht einlösen. Die Ansprache des befehlshabenden Offiziers bei Ankunft der neuen Rekruten beschwört beim Cameron-erfahrenen Zuschauer ein Aliens- oder Starship Troopers-Ähnliches Szenario herauf, dem Avatar zu keiner Sekunde gerecht wird. Trotzdem sind die Zusammenstöße zwischen Na´vi und den menschlichen Eindringlingen meisterhaft inszeniert und gefilmt. Und da kommen sie dann doch noch - wenn auch erst im Schlussakt in voller „Blüte" - zum Vorschein. Camerons Vorliebe und Ausnahmefähigkeit für das Brachiale, das Wuchtige, das Gewaltige. Visuell hat der Visionär Cameron seine Mission damit erfüllt. Immerhin.