Eine Kritik von "Angst":
Amélie geht baden
Tagein tagaus putzt die stumme Elise (Sally Hawkins) die schmutzigen Böden eines amerikanischen Forschungsinstituts. Als der ruppige Militarist Richard Strickland (Michael Shannon) ein Meeresungeheuer (Doug Jones) in die Räume des Insituts bringt, ist Elises Interesse geweckt. Sie freundet sich mit der sensiblen Kreatur an. Bald wird klar, dass die US-amerikanische Regierung drauf und dran ist, das Wesen zu töten. Da heckt Elise einen Plan aus, um es zu retten. Dabei braucht sie nicht nur die Hilfe ihres verwirrten Freundes Giles (Richard Jenkins), sondern auch des Wissenschaftlers Dr. Robert Hoffstetler (Michael Stuhlbarg), der heimlich für die Russen arbeitet.
Guillermo del Toro (El laberinto del fauno) bezaubert sein Publikum erneut – dieses Mal mit dem spleenigen Märchen The Shape of Water (2017). Der Film beginnt mit einer wunderbar verträumten Unterwasseraufnahme von Elisas Apartement. Doch das ist erst der Anfang. Bild für Bild zeichnet del Toro malerische Szenarien, in denen man sich am liebsten verlieren würde. In makelloser Schönheit bewegt sich Dan Laustsens Kamera durch das detailverliebte Bühnenbild, das ein Amerika der frühen Sechziger zum Leben erweckt.
Die stilistische Inspiration von The Shape of Water dürfte allerdings eher in Europa liegen. Nicht nur die französische Musik, sondern auch die makellosen Kamerafahrten und der kindliche Grundton erinnern an Jean-Pierre Jeunets Meisterwerk Le fabuleux destin d'Amélie Poulain (2001). Die Hauptfigur Elisa ist eine Seelenverwandte Amélies: schüchtern, süss und hochsensibel. Das Drehbuch unterfüttert den spielerischen Tenor indes mit realpolitischen Themen der USA: der Kalte Krieg, Rassismus und Homophobie.
Das amphibische »Monstrum« im Labor der US-amerikanischen Regierung wird so zum – platten doch netten – Symbol der Ausgegrenzten. Noch platter ist der Antagonist: der psychopathische Obermacho Richard Strickland, eine Karikatur alles Bösen in den USA. Wenn del Toro die stereotype Kernfamilie Stricklands zeigt, greift er auf die Pastellfarben zurück, die schon Tim Burton in Edward Scissorhands (1990) so pointiert verwendete.
Aus der Ferne betrachtet verfüttert uns The Shape of Water unzählige Klischees: die Femme fragile, die sich ein »Biest« verliebt und sich mit Phantasie gegen das böse Militär durchsetzt. Die Liebe, die alle Grenzen überwindet. Das kennen wir doch irgendwoher … Die Dramaturgie ist alles andere als originell, manchmal ist sie schmerzhaft durchschaubar. Aber Guillermo del Toro ist einer jener Regisseure, die solche Klischees zum Klingen bringen können. Das Drehbuch frischt die abgenutzte Erzählung mit skurrilen, witzigen und brutalen Szenen auf, die immer wieder für Überraschungen sorgen. Del Toro lässt sich auf heikle Fragen ein und behandelt sie entwaffnend humoristisch. Wer hätte gedacht, dass Sodomie so charmant sein kann?
Man hat kaum Zeit, die Stirn zu runzeln. Zu gefesselt ist man vom Geschehen auf der Leinwand. Besonders die Hauptdarstellerin Sally Hawkins ist einnehmend. Mit ihrem verschmitzten Lächeln und ihrer mutigen Herzensgüte beherrscht sie den Film – und die Sympathien des Publikums. Auch die Riege der Nebendarsteller ist bunt und spassig. Wie echte Menschen wirken sie trotzdem nicht, eher wie überzeichnete Comicfiguren. Immerhin sind sie gut gemacht, diese Comicfiguren.
Politische Satire trifft auf quirlige Romanze trifft auf Dark Fantasy: Das ist The Shape of Water. Schade, dass das Drehbuch nicht komplexer und die Figuren nicht tiefer sind. Das ein oder andere Klischee muss man Guillermo del Toro schon ankreiden, auch wenn seine filmische Vision selten so bestechend war wie hier.
8/10