Eine Kritik von "PierrotLeFou":
Jack Arnolds "Creature from the Black Lagoon" (1954) war seinerzeit ein abenteuerlicher Monsterfilm, der in die übergroßen Fußstapfen eines "King Kong" (1933) trat. Mit "Revenge of the Creature" (1955) und "The Creature Walks Among Us" (1956) wurde er zur Trilogie ausgebaut und beeinflusste darüber hinaus überdeutlich sein sowjetrussisches Pendant "Chelovek-Amfibiya" (1962) von Vladimir Chebotaryov und Gennadi Kazansky. Zu der Zeit war Arnolds Geschöpf längst eine Ikone des klassischen Monsterfilms, die immer wieder in - häufig kindgerechten - Monsterfilmen von "Mad Monster Party" (1967) über "The Nightmare Before Christmas" (1993) bis heute variiert worden ist.
Und im letzten Jahr hat Guillermo del Toro die Kreatur neu belebt - in dem grotesk mit Oscars überkübelten "The Shape of Water": ein formal hochsolider, ambitionierter Streifen mit vielen kleinen Highlights, der sichtlich um eine moralische Haltung bemüht ist, sich aber mit seinen kommerziellen Eingeständnissen durchaus auch in den eigenen Rücken fällt.
"The Creature Walks Among Us" - in welchem der Kiemenmensch im Ocean Harbor Oceanarium von Prof. Ferguson und seiner Studentin Helen Dobson untersucht und bisweilen traktiert wird, flieht und die begehrte Dobson entführt - und "Chelovek-Amfibiya" - der etwas märchenhafter von einer erwiderten Liebe zwischen einem Amphibienmenschen (menschlichen Ursprungs) und einer jungen Frau erzählt - werden von del Toro am stärksten aufgegriffen. Wie in der russischen Version wird hier eine tragische Liebesgeschichte erzählt, zum Mittelteil der US-Trilogie weist der Film einige dramaturgische Parallelen auf. Und zugleich wird das Klima der US-amerikanischen-/sowjetrussischen Konkurrenz, das nicht bloß hier auch in der Filmwelt zu spüren war, von del Toro aufgegriffen, der seine Geschichte ungefähr im Jahr 1963 ansiedelt.
Die stumme Reinigungsfrau Elisa Esposito ist es hier, die während ihrer Arbeit in einer militärischen Forschungseinrichtung die gefangene Kreaturen kennen und lieben lernt: Als einsame Außenseiterin erkennt die Stumme in dem vermenschlichten (und gegen Ende vergöttlichten) Wesen einen Leidensgenossen. Ihre farbige, fettleibige Kollegin Zelda, ihr schwuler, einstmals alkoholabhängiger Nachbar Giles und der als Amerikaner getarnte, russische und vermutlich jüdische Spion & Wissenschaftler Dimitri (der das Wesen auf Weisung seiner Auftraggeber töten soll) stehen ihr dabei zur Seite. Behinderung, Sucht, Sexualität, Geschlecht, Hautfarbe: alles drin...
Der klassische Monsterfilm war immer Ausdruck xenophober Ängste oder aber (idealerweise) Reflexion ebendieser. Und schon in Tim Burtons Frankenstein-Variation "Edward Scissorhands" (1990) ist es ein farbiger Polizist, der Mitleid mit dem verfolgten Freak entwickelt. Je deutlicher allerdings konkrete Vorurteile benannt und verhandelt werden, desto weniger erfüllt das Monstrum als abstraktes Symbol solcher Vorurteile seine Funktion. Das phantastische Kino wird missbraucht und dabei unfreiwillig trivialisiert. Schlimmer noch ergeht es ihm, wenn Vorurteile gepflegt und bedient werden, während das Monstrum als Fremdes zum Aufhänger einer Message gegen Xenophobie dient: "District 9" (2009) scheiterte als einer der populäreren Filme der letzten Jahre an diesem Punkt.
"The Shape of Water" verläuft irgendwo zwischen diesen zwei Fehltritten: Er macht wesentlich mehr falsch, als neben seine Parabel auch noch deren Deutung zu stellen. Zwar geht er nicht unbedingt soweit, Vorurteile seinerseits zu bebildern, aber er duldet (des Geldes wegen?) problematische Stereotype, die fest im Mainstream-Film verankert sind. Das beginnt mit der farbigen Kollegin, die zum Ausgleich für die stumme Hauptfigur ein wahres Plappermaul ist: In bester Eddie-Murphy- und Whoopi-Goldberg-Tradition quasselt sie meist recht derb drauflos, zumeist über Alltagsbanalitäten, wobei sie aber keinesfalls blöd ist. Angesichts der Missachtung, die gerade der stämmigen Schwarzen im Reboot "Ghostbusters" (2016) entgegen geschlagen ist, mag eine ähnlich gelagerte Rolle hier schon mutig erscheinen: Aber verglichen mit der Hauptfigur, die verträumt bei Busfahrten zu sehen ist oder bei ihrer morgendlichen Routine alleine in der Badewanne masturbiert und ganz nebenbei ein bisschen Tiefe aufbaut, bleibt die farbige Quasselstrippe an ihrer Seite ein eindimensionales Buddy-Stereotyp. Ansonsten wird Schwarzen hier auch keine weitere Aufmerksamkeit gewidmet: Ein farbiges Paar im Café ist für ein paar Sekunden bloß dazu da, um den Rassismus der Bedienung abbilden zu können. Davon abgesehen beschränkt sich die Zeichnung der Farbigen auf Zelda (und ihren schwerfälligen, faulen und etwas feigen Partner ohne nennenswerte Screentime).
Und der schwule Giles? Das ist ein netter, sanftmütiger, älterer Herr, der aber eher asexuell anmutet: Bloß hauchzart wird sein Interesse an der jungen (männlichen) Bedienung eines Cafés eingeführt, das mit einem sofort unterbundenen Streichen über deren Hand seine deutlichste Ausprägung erfährt. Giles ist ein Schwuler, den eher seine feingeistige Art als schwul ausweisen soll. Eine schwule Sexualität lebt er an keiner Stelle, selbst eine morgendliche Masturbation wird ihm (sowenig wie Zelda) zugesprochen. Sexualität ist reserviert für das Liebespaar des Films und für den Antagonisten Richard Strickland, der früh für eine Vivisektion des Monstrums plädiert und nach der Befreiung an der Rückführung arbeitet: Dass er nach Aufforderung seiner Ehefrau ziemlich ungeniert in Missionarsstellung über diese herfällt, zeigt der Film ganz unverblümt.
Und das Liebespaar? Abgesehen von der Stummheit, die man ihr allenfalls bei der Gebärdensprache ansehen kann, ist nichts Ungewöhnliches an Elisa. (Natürlich ist sie wie Zelda eine Frau, noch dazu eine Reinigungskraft, und der Filme ist gefüllt mit ein paar emanzipatorischen Spitzen: Aber für die Gefälligkeit der konventionellen Bilder der Sexualität ist das völlig unerheblich.) Sie ist weiß und schlank und das Monstrum mag ein Monstrum sein, wurde aber freilich nicht im Hinblick auf Abscheu entworfen. Die Kreatur ist muskulös, schlank, besitzt symmetrische Züge und eine menschenähnliche Mimik und trotz beständiger Nacktheit bleiben alle vulgären Intimzonen dem Kamerablick stets verborgen. (Weshalb, das erklärt Elisa ihrer Kollegin nach dem Akt per Gebärdensprache.) Giles wird nach der ersten Begegnung erklären, dass diese Kreatur wunderschön sei. Noch dazu wird der Liebesakt zwischen ihr und Elisa mit einer sehr traditionellen, sanften Frauenrolle bebildert, die sich hingibt und zum Partner aufschaut... Konventionelle, gefällige Erotik, die für Schwulitäten, reifere, fette und/oder farbige Leiber keinen Platz hat.
So biedert sich der Film bei Mainstream-Sehgewohnheiten an, um Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und selbst noch den Umgang mit Suchtkranken in einem konstruierten Früh-60er-Jahre-Setting anzuprangern und viele negative Perspektiven großer Teile des Publikums auf klare Schurkenfiguren zu projizieren: Auf ranghohe Fanatisten (sowohl bei den US-Amerikanern als auch bei den Sowjet-Russen), einen Barmann im Café, eventuell auch auf den ehemaligen Auftraggeber Giles', am deutlichsten aber auf Richard Strickland, dessen Privatleben kitschigen Americana gleicht, wobei er stets einen Ausdruck von Lustlosigkeit, Missmut und Unzufriedenheit mit sich herumträgt, was in vereinzelten Szenen bravouröse Parodien ergibt. Er untersteht einem beständigen Leistungsdruck, fürchtet sich unter seiner harten Fassade vor dem Versagen und erwirbt sich einen phallischen Cadillac als Symbol seiner Potenz, die von der unmissverständlichen Beschwörung seines Karrie-Aus im Falle eines Versagens beschnitten wird... und schon früh über zwei abgetrennte (und mit unklaren Erfolgsprognosen wieder angenähte) Finger beschnitten wurde.
"The Shape of Water" ist ein in seiner Heuchelei beinahe schon obszöner Film, völlig blind für die Probleme seiner Produktion und seiner Rezeption, der seinem Publikum die Möglichkeit gibt, eigene Vorurteile auf eindimensionale Schurken zu projizieren. In seinem Plädoyer ist es ja ein durchaus sympathischer Film, der auch die richtigen Charakterzüge explizit abwertet. Der hingegen beim Aufwerten einem Massengeschmack huldigt und es unterlässt, Anreize zur Selbstkritik mitzuliefern.
Davon abgesehen aber ist "The Shape of Water" eine farbdramaturgisch konsequent eingefangene Komposition zwischen Caramel und Petrol, in der eine liebevolle Ausstattung, charismatische Darsteller(innen) und jede Menge Verweise auf das klassische Hollywood von den 30ern bis 1962 effektiv vermengt werden. Und in Details - wie der Namensgebung einiger Figuren oder dem Einsatz von "The Story of Ruth" (1960) im Kino - kann man auch nach der Erstsichtung noch weitere Bedeutungen erhaschen.
Starke 7/10 für eine formidable phantastische Liebes-Tragikomödie, deren Werte allerdings durch den Mainstream-Charakter hintergangen werden.