Eine Kritik von "PierrotLeFou":
Am Anfang stand ein Kurzfilm: Lars Klevbergs "Polaroid" (2019) ist ebenso eine Neuauflage von Lars Klevbergs Kurzfilm "Polaroid" (2015) wie David F. Sandbergs "Lights Out" (2016) eine Neuauflage von David F. Sandbergs Kurzfilm "Lights Out" (2013) oder Andrés Muschiettis "Mama" (2013) eine Neuauflage von Andrés Muschiettis Kurzfilm "Mama" (2008)... Man kann im Kurzfilm die Vorstufe des Langfilms erblicken, die dessen Qualitäten in zugespitzten kleinen Situationen vorwegnimmt – oder umgekehrt im Langfilm die Auswalzung einer Idee, die mit der Dehnung an Biss verliert wie ein eigentlich auf Prägnanz ausgerichteter Witz. Wie auch immer man es sehen will: Das kommerzielle Interesse ist bei dieser Methode gar nicht zu übersehen und bei derartig deutlicher Konzentration auf das Kommerzielle überrascht es nicht, dass auf vermeintlich altbewährte Muster gesetzt wird, die allerdings nicht selten auch arg konventionell und – für ein Publikum mit ausreichender Seherfahrung – recht vorhersehbar wirken können.
Geht man noch wesentlich weiter zurück, kann man zwei weit bedeutendere Ursprünge ausfindig machen:
1.) Der Aberglaube, dass eine Fotografie den Fotografierten entmächtigt. (Ihn z.B. seiner Seele beraubt.)
2.) Der Glaube an die Geisterfotografie, der in den 1860er Jahren aufblüht und in den Parawissenschaften eine Bestätigung des Jenseitigen verschaffen sollte. (Hinzu gesellt sich der in der Fotografie sichtbar werdende Tod im Sinne Roland Barthes', der die Lebenden unausweichlich einholen wird – sowie das Fortbestehen der Verstorbenen als Fotografierte auf der Fotografie.)
Zwischen diesen Ursprüngen und Klevbergs 2015er Kurzfilm lassen sich freilich so einige Filme finden, die den unheimlichen Aspekt des Fotografierens aufgreifen: "The Asphyx" (1972) etwa, der – wie später "The Omen" (1976) – die schemenhafte Ankündigung des nahenden Todes in Fotografien darbietet. Insbesondere "The Omen", in dem anders als in "The Asphyx" keine offensichtlich Sterbenden kurz vor ihrem erwarteten Exitus abgelichtet werden, dient Klevberg als deutlich wahrnehmbares Vorbild. Und ähnlich wie in "The Evil Dead" (1981) ein blutüberströmter Filmprojektor einen Keller in Blutrot taucht, erstrahlt hier das Leuchten eines Diaprojektors bei einer tödlichen Attacke in gefährlichem Rot. Die Unheimlichkeit der Fotografie verbindet sich hier mit der Gefährlichkeit der Fotografie.
Dass diese Gefährlichkeit ganz handfest & bodenständig sein kann, verdeutlicht "Polaroid", indem er die Themen des Mobbing & Bullying in die Mittsiebziger Jahre übeträgt, sie von den gegenwärtigen Smartphones und Camchats löst und an eine alte Polaroid-Kamera bindet: Die Schülerin Bird Fitcher gelangt über ihren kleinen Nebenjob im Antiquitätenhandel an eine scheinbar fluchbeladene Polaroid-Kamera, deren Nutzung den Tod der Fotografierten nach sich zieht, der sich über einen bedrohlichen Schatten auf den Aufnahmen ankündigt. In der zweiten Hälfte gibt es dann [Achtung: Spoiler!] eine erste Erklärung für das Ganze, die sich allerdings als falsch herausstellen wird: Roland Joseph Sable habe – nachdem seine in ihre Polaroid-Kamera vernarrte Tochter von Mitschülern auf kompromittierende Fotos gebannt und gedemütigt worden ist, woraufhin sie sich erhängte – 1974 die schuldigen Schüler fast allesamt ermordet und dabei mit der Kamera seiner Tochter fotografiert. Bloß den vierten und letzten Täter konnte er nicht entleiben, da die Polizei eintraf und das Feuer auf ihn eröffnete. R. J. Sable sei mit der Kamera in der Hand gestorben und sein rachsüchtiger Geist mordet weiter, bis der vierte Mittäter gesühnt hat.
Dieser Mobbing-/Bullying-Aspekt, den "Unknown User" (2014) zuletzt ebenfalls als Medien-Horrorfilm thematisierte, wird dann allerdings nicht konsequent verfolgt: Bird entlarvt mit ihren Gefährten – die wie die Teenager in "Final Destination" (2000) an einer Verhinderung ihres sicheren Todes arbeiten müssen – den Sheriff Pembroke als einstigen Mittäter; aber der irreführend etwas zwielichtig gezeichnete Mann des Gesetzes hat einiges richtig zu stellen... Nicht er habe mit Mitschülern die Tochter der Sables in peinlicher Lage abgelichtet, sondern ihr scheinbar inzestuös begehrender, womöglich gar etwas pädophiler, zumindest hebephiler Vater habe diese Fotos angefertigt, wofür sie ihn als Freunde der Tochter zur Rechenschaft ziehen wollten. Sable habe sie dann allesamt ermorden wollen; nur er selbst, Pembroke, habe überlebt – und die Tochter der Sables habe sich angesichts dieser Tragödie erhängt.
Nun ist es ein anderer Klassiker, der durchschimmert: "A Nightmare on Elm Street" (1984) natürlich, in dem ebenfalls ein hingestreckter Kindermörder mit angedeutet pädophilen Neigungen (die im 2010er Remake deutlicher zum Tragen kamen) nach seinem Tod weitermordet. Während Freddy Kruger einen Krallenhandschuh trägt, lässt sich Klevbergs Sable – eine typische Javier-Botet-Schreckgestalt – eine lange Klinge aus seiner Hand wachsen.
Zu Beginn bleibt dieses Schreckgespenst allerdings weitgehend unsichtbar, bleibt Klauenpaar, schemenhafter Schatten (wie in "Lights Out") oder Spuk unter einem weißen, emporschießenden Laken... ("'Oh, Whistle, and I'll Come to You, My Lad'" (1904) lässt grüßen...) Klevberg hält sich voll und ganz an die Konventionen des Genres und wartet dabei mit manch handwerklich geschickter, aber eben auch arg abgenutzter Szene auf: Eine stark schwankende Deckenlampe sorgt für eine nervöse Beleuchtung mit vielen potentiell gefährlichen Momenten der Dunkelheit, die Geräusche eines brutalen Überfalls gehen auf der Tonspur in das Gurgeln eingegossenen Kaffees über. Es ist alles standardisiert und 08/15 in diesem Film, zusammengeklaubt aus anderen, meist viel besseren Filmen, vollgepropft mit jump scares – aber zumindest mit handwerklichem Geschick und einer merklichen Liebe zur eigenen Arbeit umgesetzt.
Leider gehören zu den konventionellen Versatzstücken – die "Polaroid" insgesamt etwas konsequenter und stimmiger verwendet als andere Genrevertreter der letzten Jahre, in denen Teenager wie in "Wish Upon" (2017) nach dem Gebrauch eines besessenen oder fluchbeladenen Objekts von einer Bedrohung heimgesucht werden – neben dramaturgischen Feinheiten auch einige dramaturgische Ungereimtheiten. Positiv mag man den obligatorischen Kniff verbuchen, dass die Heldin des Films über eine Narbe an einen Unfall erinnert wird, an welchen sie mit Schuldgefühlen zurückdenkt, um sich am Ende über ein schmerzhaftes kleines Selbstopfer für sich und ihre Mitmenschen einzusetzen. Klassische Schuld- und Sühne-Dramaturgie, welche dem übernatürlichen Schrecken für die Hauptfigur eine kathartische Funktion abgewinnt – und der bösartigen, niederträchtigen Rachsucht des toten Mörders ein aufopferungsvolles Selbstopfer gegenüberstellt.
Überhaupt ist dem Film die Hauptfigur gut gelungen: Dass eine Highschool-Schülerin von heute in eine 70er-Jahre-Polaroid-Kamera vernarrt ist, hätte leicht der bizarrste Aspekt an dieser abwegigen Geistergeschichte sein können. Aber Birds Kindheitstrauma, das zu Schuldgefühl und Verlust geführt hat, hat sie zur eventuell schon leicht krankhaften Melancholikerin werden lassen, die nostalgisch zurückblickt, um die Vergangenheit trauert und in der Fotografie, dem melancholischen Medium schlechthin, ihre Berufung findet. Der Job im Antiquitätenhandel rundet neben den Schuldzuweisungen, mit denen Bird nach Nutzung der Polaroid-Kamera und dem hereinbrechenden Unheil konfrontiert wird, das Ganze ab, was Kathryn Prescott mit einem sanften, zurückhaltenden, etwas schüchternen Spiel ideal verpackt. (Weniger glaubwürdig mutet es an, dass eine ihrer Altersgenossinnen nach dem tödlichen Treppensturz einer Freundin ausgerechnet Friedkins "The Exorcist" (1973) assoziiert: Da hat der 1980 geborene Klevberg seine verständliche Begeisterung für die 70er Jahre auf eine Generation übertragen, bei der man solch eine Vorliebe doch eher selten wahrnimmt.)
Hingegen muss man sich immer wieder auch ärgern, dass keiner der Teenager, die über eine Fotografie mit Voodoo-Puppen-Qualitäten verfügen, auf die Idee kommt, ebendiese der Polizei vorzuführen, anstatt unglaubwürdige Geistergeschichten zu erzählen. Hier ist viel Unsinnigkeit am Werk, die den reibungslosen Ablauf der standardisierten Dramaturgie gewährleistet. Dazu zählt auch der nicht unbedingt unglaubwürdige, aber doch unerklärte und irritierende Umstand, dass der Geist manchmal sehr schnell über sein Opfer herfällt und sich manchmal doch recht viel Zeit lässt...
Alles in allem ist "Polaroid" leider kein geglückter Hollywood-Trumpf eines norwegischen Genies, das sich mit einem wahren Highlight für die große US-Karriere empfohlen hätte, sondern bloß (immerhin durchaus ambitioniert hergestellte) Konfektionsware für das Teenie-Horror-Publikum des 21. Jahrhunderts. (Und man darf gespannt sein, ob Klevberg damit nicht vielleicht sogar der richtige Mann für das Reboot "Child's Play" (2019) ist.) Als soche funktioniert er aber noch relativ passabel – und die vor allem wegen des Weinstein-Skandals um über ein Jahr hinausgezögerte Veröffentlichung sollte man nicht dem Film selbst anlasten. (Das ist übrigens noch ein bizarres Quäntchen Ironie: "Polaroid", der sexuelle Ausbeutung thematisiert, ist seinerseits Opfer eines enormen M(achtm)issbrauchsskandals geworden.)
Schwache 6/10.