Eine Kritik von "vodkamartini":
Vigilanter Feminismus oder feministischer Vigilantismus?
Rache. Es gibt nicht viele Motive, die in der Filmgeschichte dermaßen präsent und langlebig sind - und das bis heute. Der Vigilantismus war schon beinahe in jedem Genre zu Gast, hat aber auch ein eigenes geprägt. Diese spezielle Spielart des Thriller- und Actionkinos genießt nicht den besten Ruf, erfreut sich aber trotz alledem - oder vielleicht auch gerade deswegen - ungebrochener Beliebtheit. Ob es an der meist ruppigen und zynischen Gangart liegt, ob an der Symbiose der in der Realität oft inkompatiblen Paarung Recht und Gerechtigkeit, oder einfach nur am Reiz der simplen Lösung, der Revenge-Film polarisiert wie kaum eine andere Gattung. Dass hier fast ausschließlich Männer als Fusion aus Richter und Henker zur Tat schreiten, ist dabei sicher ein nicht unwesentliches Kriterium.
Um so spannender wird es dann, wenn dieses eherne Genre-Konstrukt auf den Kopf gestellt wird. Klatschen die Charles-Bronson-Afficionados immer noch Beifall und wenden sich die Reaktionismus-Ankläger immer noch angewidert ab, wenn eine Frau sich zum blutigen Vollstrecker aufschwingt? Coralie Fargeat stellt im humorlos passend betitelten „Revenge" genau diese Fragen, mindestens drängen sie sich regelrecht auf. Und noch so einige mehr.
„Revenge" ist ein Film voller Widersprüche. Hier werden nicht nur Rollen und Klischees vertauscht, hier wird auch ein lupenreines Exploitation-Gerüst in Hochglanzbilder gegossen. Nein, wie ein schmuddeliger Rape-and-Revenge-Reißer sieht der Film zu keiner Sekunde aus. Und immer wieder tappt der Zuschauer in die Erwartungsfalle. Zu Beginn wähnt man sich in einem Hochglanzporno. Fargeat inszeniert ihre Heldin wie ein glamouröses Sexobjekt. Makelloses Äußeres, lasziver Blick, allzeit bereit. Verführung pur. In einer abgeschiedenen Luxusvilla irgendwo in der Wüste leistet sich Geschäftsmann Richard gern mal ein Schäferstündechen vom anstrengenden Arbeitsalltag. Auch er könnte sofort als Model anheuern. Landschaft, Villa und Paar harmonieren perfekt, glatte Oberflächen, leuchtende Farben und Schönheit wohin man blickt.
Ganz subtil werden die Risse zunächst nur angedeutet. Richard ist verheiratet, glücklich wie er sagt. Mit seinen am Folgetag eintreffenden Geschäftspartnern verhält es sich ähnlich. Dimitri und Stan sind fasziniert von Jen, umgarnen sie mit Nettigkeiten, Schmeicheleien und launiger Konversation. Die unbemerkten Blicke die sie ihr zuwerfen, sprechen allerdings eine andere Sprache, die der unverhohlenen Geilheit und Lüsternheit. Und wieder inszeniert Fargeat Jen als Lustobjekt, das sich ihrer Reize voll bewusst ist. Geschickt hält sie den Zuschauern so den Spiegel vor. Seht her, sie will es doch? Der Schritt zu „selbst Schuld, wenn sie sie so heiß macht", ist nur noch ein sehr Kleiner.
Als dann die Vergewaltigung kommt, startet Fargeat das nächste Täuschungsmanöver ihrer meisterhaft manipulativen Inszenierung. Anders als viele Genre-Ableger bedient sie nicht weder die voyeuristische Schaulust, noch blendet sie zur Schonung kurz vor der brutalen Tat ab. Sie hält voll drauf, aber nur auf die Gesichter der Beteiligten (die verzweifelte und gepeinigte Jen, den brutalen und geilen Stan sowie den lüsternen Beobachter Dimitri), was das Gezeigte deutlich intensiver und widerlicher macht, als es eine der beiden üblichen Varianten erreicht hätte, zumal die Sichtweise nun wechselt und den Zuschauer in Jens Perspektive zwingt.
Wer jetzt denkt, den Stil der Regisseurin endgültig kodiert zu haben, wird in der zweiten Filmhälfte erneut eines Besseren belehrt. Denn als die einem Mordanschlag nur knapp entkommene Jen in den Rachemodus schaltet, ist es auch mit der vermeintlich visuellen Zurückhaltung vorbei. Und wieder heißt es sich zu positionieren. Erneut wechselt die Perspektive in die Tätersicht, nur dass es sich diesmal um das frühere Opfer handelt, das nun Selbstjustiz übt. Und diese ist blutig, brutal und drastisch. Nun hält die Kamera wirklich voll drauf und breitet die Grausamkeiten regelrecht aus. Das ist nichts für schwache Nerven, zumal auch hier wieder der schmale Grad zwischen Exploitation und Abschreckung ausgelotet wird. Es ist dies die größte Stärke des Films, neben seiner handwerklichen Qualitäten, dass er den Zuschauer permanent zwingt Stellung zu beziehen und unbequeme Reize setzt. Immer wieder ertappt man sich dabei, der Regisseurin zumindest beinahe in die Falle gegangen zu sein.
Aber wie ist der Film nun einzuordnen? Kerosin für den Vigilanten-Fan, edler Stoff für den Dekodierungs-Freak, oder gar ein Befreiungsschlag für den häufig noch immer unter Beschuss stehenden Feminismus? So einfach ist es nicht und das ist gut so. Den üblichen Kategorisierungsschemata haftet immer auch etwas Beruhigendes, Bequemes, ein Wunsch nach Ordnung an. „Revenge" hat an all diesen Attributen wenig Interesse. Er steht in allem für das genaue Gegenteil.
Sie habe bei dem Film gar nicht so sehr an Rape-and-Revenge gedacht, so Fargeat. Vielmehr sei sie mehr von „Rambo" und „Mad Max" inspiriert gewesen. Und tatsächlich ist ihr Flm diesen beiden deutlich näher als den Legionen von billigen Revenge-Reißern. Gesellschaftskritik, Nihilismus, eine karge, feindselige Natur und das unter einer glatten Oberfläche lauernde Böse sind offenkundige Themen. Vor allem aber geht es um Spiegelungen, der eigenen Wahrnehmungen, Perspektiven, Standpunkte. Die Aussage des Films, sofern man denn eine konstruieren will, fällt somit höchst unterschiedlich aus, je nach Betrachter. Eins spannende Angelegenheit, ganz besonders auch unterhalb der blitzblanken Genre-Oberfläche.