Eine Kritik von "iHaveCNit":
iHaveCNit: Lady Bird (2018)
Endlich – nach einer extrem langen Wartezeit auf den deutschen Release konnte ich nun endlich „Lady Bird“ sichten. Wobei eine Frage bei diesem Film natürlich für mich im Raum steht: Wie gehe ich diese Kritik an, wo doch dieser Film in den USA als Über-Indie-Hit gefeiert wurde, lange Zeit die 100 bei Rotten Tomatoes verteidigen konnte, für 5 Oscars nominiert und 2 Golden Globes ausgezeichnet worden ist und in Folge seines übermenschlichen Hypes vermutlich auch als Instrument für die zur Award-Season stets präsente metoo-Debatte genutzt worden ist, um eine Frau als Filmemacherin in den Olymp zu hieven. Ich gehe diese Nachbetrachtung jedoch so an, wie ich jede angehe – mit Anstand, Respekt und Vernunft gegenüber dem Medium Film und wie ich den Film gesehen habe. Dabei habe ich mich bei all dem Hype mal von diesem Hype entfernt, um Greta Gerwigs richtigen ersten Film zu genießen, bei dem sie die volle kreative Kontrolle hatte. Und Greta Gerwig hat einen sehr schönen Film gezaubert.
Christine McPhearson, die sich selbst „Lady Bird“ nennt, ist 17 lebt in spartanischen Verhältnissen mit ihrer Familie in der kalifornischen Stadt Sacramento und geht auf eine streng katholische Schule. Sie ist durchschnittlich gut in der Schule und noch hin- und hergerissen, was sie nach der Schule machen will. Zu ihrer strengen Mutter pflegt sie ein unentschlossenes Verhältnisses zwischen stetigem Genervtsein und Liebe – doch es ist sehr kompliziert für die spätpubertierende Lady Bird, die in dieser Zeit auch ihre ersten Erfahrungen mit Jungs macht. Ob Lady Bird Flügel bekommen wird um in die eigene selbstgesteuerte Zukunft abzuheben ?
Wenn man sich ein bisschen näher mit Greta Gerwigs Lebensgeschichte beschäftigt hat, wird man einige Parallelen zu „Lady Bird“ feststellen können, aber es gibt immer noch genug, was in dieser Geschichte sehr frei dargestellt wird. So kommt man nicht um den Faktor herum, dass wir es nur mit einer fast semibiografischen Geschichte von Gerwig selbst zu tun haben. Doch „Lady Bird“ ist so viel mehr als das – eine klassische Coming-Of-Age-Story und ein extrem starkes Mutter-Tochter-Drama. „Coming-Of-Age“-Storys sind aktuell ja wieder sehr stark im Kommen und haben uns mit „Boyhood“ ; „Moonlight“ ; „Call Me By Your Name“ und „Jahrhundertfrauen“ in dem Gerwig eine Nebenrolle spielt sehr tolle Vertreter geliefert, die bei Award-Seasons und Filmfestivals abgefeiert worden sind. Genauso wie Filme, die das Leben stark geschrieben in seiner fast klischeebefreiten Natürlichkeit zeigen wie „Manchester By The Sea“ und auch „The Big Sick“. Gerwig schafft es, in 95 Minuten obwohl Rohfassungen fast 6 Stunden umfasst hätten, einen runden perfekt entschlackten Handlungsbogen mit genug Tiefgang aufzubauen und sich perfekt auf den Kern zu fokussieren. Die Detailgenauigkeit und Hingabe spürt man enorm und Gerwig hat sich meinen Respekt aus Sicht ihres Filmemachens verdient. Die Momente, die uns hier aneinandergereiht werden, beginnen ohne klaren Anfang und klares Ende, doch der Verlauf fühlt sich so normal und fließend an. Im Bereich des „Coming-Of-Age“ mag Lady Bird wenig neues hervorbringen, doch gerade die Mutter-Tochter-Beziehung ist in ihrer Vielschichtigkeit und den herausragenden Leistungen von Laurie Metcalfe und Saoirse Ronan der interessante Kern der Geschichte, der perfekt auf den Punkt gespielt ist und immer die richtigen Töne zwischen Humor und Drama trifft. Damit erfühlt der Zuschauer die Emotionen und die Wärme perfekt ohne extra dahingehend manipuliert werden zu müssen. Neben Metcalfe und Ronan möchte ich noch 3 weitere Personen erwähnen, die als Support den Film gut aufwerten. Tracy Letts spielt Lady Birds Vater mit einer netten Herzlichkeit und einer brodelnden Tiefe unter der Oberfläche, so dass seine Szenen richtig toll sind. Auch wenn die Charaktere der in diesem und dem letzten Jahr für den Oscar nominierten Jungschauspieler Timothee Chalamet und Lucas Hedges etwas reißbrettartig wirken, so holen beide das Optimum aus den gegeben Mitteln heraus. „Lady Bird“ ist zwar kein Meisterwerk im Sinne eines filmischen Meisterwerks, aber es ist ein wundervoller Film, der uns daran erinnern kann, wie komplex das Heranwachsen sein kann. Und ich werde bei Chalamet, Hedges, Ronan und auch Gerwig mit offenen Augen die Karrieren verfolgen, denn jeder hat zwar schon tolle Stationen hinter sich – doch es können noch genug Tolle folgen.
„Lady Bird“ - My First Look – 9/10 Punkte.