Eine Kritik von "Angst":
Vom Mumblecore-Star zum Indie-Mauerblümchen
Christine McPherson (Saoirse Ronan) hat genug vom eingeengten Leben im kalifornischen Sacramento. Sie will in einer fortschrittlichen Stadt studieren, etwa in New York. Doch bevor es soweit ist, muss sie das letzte Jahr an ihrer katholischen Highschool überstehen. Vor ihrer Mutter Marion (Laurie Metcalf) hält Christine ihre Studienpläne geheim; denn Marion hat schon eine vorgefasste Idee vom Lebenslauf ihrer Tochter. Die finanziellen Probleme der Familie McPherson kommen erschwerend hinzu. Christines Vater Larry (Tracy Letts) ist seit Längerem arbeitslos, was ihn in die Depression getrieben hat. Daneben muss sich Christine, die lieber »Lady Bird« genannt wird, mit den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens auseinandersetzen. Sie verliebt sich, begibt sich auf sexuelle Abenteuer und zerwirft sich mit ihrer besten Freundin Julie (Beanie Feldstein). Die grösste Angst aber gilt ihrer Mutter: Christine fürchtet, sich nach ihrem Highschool-Abschluss ein für alle Mal mit ihr zu entzweien.
Die Schauspielerin, Produzentin und Drehbuchautorin Greta Gerwig hat in der so genannten Mumblecore-Szene des US-amerikanischen Kinos bereits ihre Fussabdrücke hinterlassen. Mumblecore-Filme zeigen typischerweise Zwanzig- bis Dreissigjährige, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Die Regisseure dieser Bewegung streben grösstmögliche Authentizität an. In Noah Baumbachs Frances Ha (2012) spielte Gerwig die Hauptfigur, eine quirlige Tänzerin in der Lebenskrise, und begeisterte damit ihre Zuschauer. Nun legt Gerwig ihren ersten eigenen Spielfilm vor: Lady Bird (2017). Dieses Mal geht es um eine Jugendliche, die nicht weiss, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Der Film konnte einige namhafte Ehrungen einheimsen. So nominierte die Academy Greta Gerwig als beste Regisseurin.
Lady Bird punktet immer wieder mit feiner Ironie. Gerwig, die auch das (lose autobiographische) Drehbuch geschrieben hat, ist sich bewusst, dass sie Stereotypen bedient: Lady Bird ist die spleenige Aussenseiterin, Marion die strenge doch herzliche Mutter, und Lady Birds Freund Kyle (Timothée Chalamet) der ach-so-intellektuelle und -alternative Rockmusiker. Wann immer man diese Ironie spürt – etwa wenn Kyle nachts mit Glimmstängel und Buch über einem Pool gezeigt wird –, ist Lady Bird äusserst launig. Oft aber fehlt diese reflexive Ebene. Dann wird klar: Gerwig beschreitet einen Pfad, der bereits ausgetreten wurde. (Zum Beispiel von Terry Zwigoffs wunderbar sarkastischen Coming-of-Age-Geschichte Ghost World, 2001. Neben Zwigoff wirkt Gerwig fast verkrampft.)
Etwas Eigenes bietet Lady Bird an jenen Stellen, die das Teenager-Leben in ihrer ganzen Sinnlosigkeit zeigen: das Kommen und Gehen von Liebschaften, spontane Wutausbrüche und Einfälle, ein unvernünftiger Wechsel des Freundeskreises. Hier schafft es Greta Gerwig, lakonisch und sentimental zugleich zu sein. Ein Highlight in dieser Hinsicht ist das Ende des Filmes, das in hastiger Schnittfolge das scheinbar so spannende Leben in der grossen Stadt zeigt. Sympathisch ist auch, dass sich die Geschichte mit tragischen Themen befasst, diese aber nicht pathetisch breit tritt. Sie sind eher Fussnoten im allgemeinen Wirrwarr der Teenager-Jahre. Stilistisch gestaltet sich Lady Bird indes eher bieder, Gerwig folgt der mittlerweile klassischen Indie-Ästhetik; unaufgeregte Kamera, warme und angenehme Farben. Dieser Film tut niemandem was zuleide, auch wenn er einige progressive Witze über Abtreibungsgegner und die christliche Religion vom Stapel lässt.
Gerwig lässt ihre Geschichte bewusst vor sich in plätschern, was nicht immer hilfreich ist. Manchmal scheint es, als verliere sie sich in den Wohlfühl-Vibes; als ziele der Film lediglich darauf ab, in den Zuschauern ein nostalgisches Gefühl für die Jugendjahre zu wecken. Etwas Humor, etwas Tragik – eine zwar hübsche, aber nicht weltbewegende Mischung. Die Tochter-Mutter-Beziehung zwischen Christine und Marion ist nett und sensibel inszeniert, angetrieben von zwei gefälligen Performances von Ronan und Metcalf. Auch als liebevoll-linksches Portrait der Stadt Sacramento vermag Lady Bird zu gefallen. Aber wo ist der Zauber? Er bleibt aus. Sieht man von einigen Szenen ab, die man an einer Hand abzählen kann.
Einen schönen Kinoabend wird man mit Christine »Lady Bird« McPherson trotzdem verbringen. Die Mischung stimmt. Aber es fehlen die Momente, an denen sich Gerwig merkbar vom kleinen Einmaleis der Coming-of-Age-Story emanzipiert. Lady Bird ist genau wie seine titelgebende Hauptfigur: reizvoll und verschmitzt, bemüht um Originalität, aber sie nie ganz erreichend.
7/10