Eine Kritik von "Vince":
kurz angerissen*
An den Eckpfeilern des Coming-Of-Age, in diesem Fall seiner Unterkategorie "Coming-Out-Of-The-Boondocks", ändert auch Greta Gerwig nichts. Die aufrührerische Teenagerzeit der rebellischen Lady Bird lässt sich im Rückblick bequem auf jugendliches Trial-and-Error reduzieren. Es ist wieder eine Reise voller falscher Abzweigungen, an deren Ende die unvermeidliche Erkenntnis steht, dass man vielleicht doch einen naiven Blick auf die Welt hatte. Das ist eine universelle Erkenntnis, die für das Sacramento aus dem Jahr 2002 ebenso gilt wie für jeden anderen Platz und jede andere Zeit. Deswegen fungiert die autobiografische Verortung mit Songs aus den 90ern und ohne den technologischen Fortschritt des 21. Jahrhunderts wie ein beliebiges Exempel für eine Wahrheit: Filme über weibliche Teenager nehmen stets den gleichen Verlauf, genauso wie es eben solche über Männer in der Midlife-Crisis tun oder alleinerziehende Mütter - weil der Mensch trotz seiner individuellen Ausformungen am Ende immer den gleichen Mustern folgt.
Doch gerade weil jedes Drama über das Aufwachsen in der Provinz grob dieselben Motive aufgreift, ist es Gerwig hoch anzurechnen, dass sie einen ganz eigenen Aussdruck findet, um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die immer noch so schrecklich junge, für den Independent-Film aber fast schon ikonenhafte Saoirse Ronan hat bei der Annahme der Rolle wieder den richtigen Riecher bewiesen, ist "Lady Bird" doch nicht bloß ein einfacher Print einer rebellischen Göre, die sie bei weniger sorgfältiger Figurenzeichnung einfach hätte werden können, sondern ein Ausbund an Persönlichkeit, voller Alleinstellungsmerkmale gegenüber ihren Altersgenossinen, und das, obwohl sie ihr Handeln und ihre selbst erwählte Identität voll und ganz nach Klischees ausrichtet, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Das führt dazu, dass die Regisseurin bei der Verfilmung ihres eigenen Drehbuchs völlig unverbindlich durch die kurzlebigen Entwicklungsphasen ihrer Hauptfigur hechtet, einzelne Szenen nicht einmal mehr miteinander verknüpft, sondern zur Seite schiebt wie Wegwischbilder. Ewige Freundschaften enden einfach so aus dem Nichts, um ebenso unproblematisch wieder aufgenommen zu werden; Ideale und Überzeugungen verkehren sich durch kleine Erschütterungen des auf Stelzen erbauten Weltbilds ins Gegenteil. Die Theatralik von heute ist morgen bereits wieder vergessen. Obwohl dadurch auch sehr harte Themen angegangen werden, die normalerweise schwer auf einer Handlung lasten, gelingt es Gerwig auf diese Weise, ein leichtfüßiges Seherlebnis zu erzeugen; außerdem zeichnet sie Lady Bird damit als einen Menschen voller Fehler, der akrobatisch zwischen totalem Selbstbewusstsein und vermindertem Selbstwertgefühl balanciert und bei diesem Balanceakt allerhand falsche Entscheidungen trifft.
Die Zielgruppe schränkt sich natürlich schon durch das Thema massiv ein, doch selbst wer sich nicht dazu zählen würde, ist vermutlich dazu in der Lage, einen Blick hinter die Klischees des Coming-Of-Age zu werfen und mehr darin zu sehen als die Oberfläche.
*weitere Informationen: siehe Profil