Eine Kritik von "McClane":
Schon einige Jahre nach „Titanic“ wurde angekündigt, dass James Cameron als nächstes eine Umsetzung des Manga-Klassikers „Battle Angel Alita“ für die Großleinwand plane. Bis das Ergebnis dann tatsächlich die Kinos erreichte, dauerte es fast 20 Jahre (bereits im Jahr 2000 sicherten sich Cameron und 20th Century Fox die Webdomain battleanglealita.com), Cameron war wegen anderer Projekte als Regisseur heraus und übergab stattdessen an seinen Kollegen Robert Rodriguez.
Als Drehbuchautor und Produzent ist Cameron dem Film allerdings treu geblieben und drückt „Alita: Battle Angel“, wie das Ergebnis nun heißt, seinen Stempel auf, gerade in Sachen Weltenerschaffung. Dabei ist die Prämisse des Films keine besonders neue: Mal wieder hat ein großer Krieg in der fernen Zukunft die Erde verwüstet, weshalb die Bevölkerung sich in einer einzigen, überfüllten Stadt rudelt. Eigentlich zwei: Unten Iron City für das verarmte Fußvolk, darüber schwebend und streng bewacht Zalem für die Wohlhabenden. Normale Menschen gibt es auch noch, aber viele haben sich durch maschinelle Ersatzteile pimpen lassen oder laufen direkt als Cyborgs durch die Gegend. Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz) repariert Cyborgs und sucht auf den Schrottplätzen um Iron City nach Ersatzteilen, wo er die Reste eines weiblichen Cyborgs findet. Das hat alles in Sachen Story und Gestaltung der Welt einige Vorbilder, gerade die Idee der gleichzeitig hochtechnologisierten und verarmten Riesenstadt gab es in den letzten Jahren in Werken wie „Elysium“, „Divergent“ und „Ready Player One“ immer wieder zu sehen, von Klassikern wie „Blade Runner“ ganz zu schweigen.
Ido gibt dem Cyborg-Kern einen neuen Körper, ein Heim und einen Namen: Alita (Rosa Salazar). Diese leidet unter Amnesie und muss deshalb praktischerweise zusammen mit dem Zuschauer in die Regeln dieser Zukunftswelt eingeführt werden. Eine Reise nach Zalem ist unmöglich, die Bewohner von Iron City schlagen sich oft als Gangster, Kopfgeldjäger oder Motorball-Spieler durch. Letzteres heißt nicht nur so ähnlich wie Rollerball aus dem gleichnamigen Film, sondern ist auch ein ähnlich derber Sport zur Volksbelustigung, bei dem zwar ein Ball ins Ziel gebracht werden muss, sich die Kontrahenten vor allem aber während des Rennens gegenseitig zerlegen. Als potentielles Love Interest für Alita steht auch gleich der verwegene Jungmann Hugo (Keean Johnson) parat, der cool mit Lederjacke auf einem Einrad-Motorbike durch die Gegend schraddelt und Dr. Ido öfter Ersatzteile besorgt.
Während sich Alita eingewöhnt und ihren Wurzeln nachspürt, geht ein Killer um, der Jagd auf Cyborgfrauen macht. Außerdem scheinen sich zwielichtige Subjekte für sie zu interessieren – und von denen gibt es in Iron City so einige…
„Alita: Battle Angel“ ist gewissermaßen ein perfektes Beispiel für ein Problem des modernen Blockbusterkinos, nämlich jeden Film gleich als Franchise-Starter mit Anknüpfungspunkten für ein bis drölfzig Sequels hinzustellen. Das ist nicht verwerflich, aber andere Filme haben das besser hinbekommen. Man denke an „Matrix“, der bei einem Misserfolg auch als Einzelfilm mit einer Episode aus dem Krieg zwischen Menschen und Maschinen hätte stehen bleiben können. „Alita: Battle Angel“ hingegen fühlt sich unfertig an, wenn am Ende nur einzelne Handlanger besiegt sind, die Heldin erst gerade ihre Herkunft erfahren hat und sich eine lebensbestimmende Mission andeutet. Vielleicht ist es aber auch weniger das Ende an sich, sondern der Film, der dorthin führt, der dieses Gefühl verstärkt: Rodriguez‘ Werk wie eine lange Exposition, aus der sich bei allen Plotsträngen erst nach und nach eine Geschichte und ein Ziel herausschälen – und das, obwohl fast jeder Plotstrang miteinander verbunden ist. Doch Einzelaspekte, etwa die Motorball-Turniere und der dort zu erringende Hauptgewinn des Zalem-Zutritts, scheinen in erster Linie Vorarbeit für potentielle Sequels zu sein und an diesen Stellen riecht „Alita: Battle Angel“ schon nach faulem Zauber.
Aus dieser Faserigkeit ergibt sich ein zweites großes Problem: Es gibt keinen vernünftigen Schurken. Nova schwebt über allem, bleibt aber eine geisterhafte Präsenz, die wohl erst in geplanten Sequels richtig zum Zuge kommen soll und daher nur ganz kurz in Person zu sehen ist. Kingpin und Motorball-Veranstalter Vector (Mahershala Ali) ist unterschiedlich stark präsent in verschiedenen Phasen des Films, bei seiner Gespielin, Idos Ex-Frau Chiren (Jennifer Connelly), ist man sich nicht sicher, ob sie nun böse ist oder nur fehlgeleitet. Cyborg-Schläger Grewishka (Jackie Earle Haley) bleibt ein Mann fürs Grobe, Zapan (Ed Skrein) ein geckenhafter Kopfgeldjäger-Rivale, des Rest des Feldes sind Handlanger, die man klar als solche erkennt. Aber immerhin cool designte Handlanger, denn die Vorzüge von „Alita: Battle Angel“ sind klar optischer Natur, vor allem in Sachen Charakterdesign: Die Cyborgs als Mensch-Maschinen-Vermischung, mal mehr zum einen, mal mehr zum anderen hinneigend. Da gibt es Kampf-und-Renn-Maschinen, die nur ein menschliches Gesicht von einem Roboter trennt, auf der einen Seite, da gibt es weitestgehend humanoide Figuren wie Alita auf der anderen. Dass Rodriguez und Cameron sich mit ihrem Design dem Mangastil annähern und ihr entsprechend große Augen verpassen, ist ein Wagnis, aber eines, das sich auszahlt: In Rekordzeit ist man in dem Film drin und nimmt die Augen als gegeben wahr, als Teil einer neuen Ästhetik.
In Sachen Ästhetik punkten auch die Actionszenen, die natürlich reichlich CGI-gepimpt sind, aber oft auf Motion Capturing beruhen. Will heißen: Da springen tatsächlich Kampfkünstler und Stuntleute durch die Gegend, auch wenn ihre Bewegung auf computergenerierte Figuren übertragen wird. Aber das tut der physikalischen Glaubwürdigkeit der Fights gut, lässt sie wesentlich plastischer und druckvoller wirken. Die paar Szenen, in denen man auf diese Bodenhaftung verzichtet, fallen dann auch negativ auf. Ebenso stark sind die Motorballspiele, in denen reichlich Spezialwaffen und -fähigkeiten zum Zuge kommen, auch wenn der Film sich hier noch zurückhält – man spart sich auch hier wohl noch einiges für ein angedachtes Sequel auf.
Ähnlich sieht es bei den Darstellern aus, von denen der eine oder andere vielleicht erst später zum Zug kommen wird. Oder Rodriguez und Cameron konnten einfach wegen der Zugkraft des Projekts manchen Bit-Part mit einem bekannten Namen oder Gesicht besetzen, darunter einige Weggefährten Rodriguez. Also sind Jeff Fahey, Rick Yune und Marko Zaror in Einzelszenen als Kopfgeldjäger zu sehen, Casper van Dien und Michelle Rodriguez in Rückblenden, welche die Vergangenheit von Alita oder Ido ausgestalten, Edward Norton ultrakurz als Nova und Jai Courtney als Motorballchampion. Rosa Salazar dagegen hat reichlich zu tun und meistert die Motion-Capturing-Hauptrolle mit Bravour. Christoph Waltz als Schauspielschwergewicht veredelt den Film, ganz CGI-unverdeckt, und hat die vielschichtigste Rolle abbekommen: Sein Dr. Ido ist ein stets freundlicher Mann, der hinter seiner sanften Fassade jedoch genug Schmerz und Abgründe verbirgt, die der Film erst nach und nach zu Tage fördert. Mit Jennifer Connelly und Mahershala Ali stehen zwei charismatische Gegenspieler zur Verfügung, die das Beste aus ihren vom Drehbuch etwas unterentwickelten Rollen machen, während Ed Skrein und Jackie Earle Haley dagegen wenig aus ihren Parts machen können, bei denen sie als Gesichter für wesentliche eindrucksvollere CGI-Körper dienen. Die einzige darstellerische Schwachstelle ist Keean Johnson als Alitas Love Interest: Eine eh schon blasse Rolle, die von dem ausdrucksarmen Johnson nicht aufgewertet wird, eher im Gegenteil.
So strauchelt der Film auch dann, wenn er Hugo ein paar dunklere Seiten andichten will, die aber kaum funktionieren, da dieser eine ziemliche Flachzange ist, deren Bedrohlichkeit sich in Grenzen hält, zumal er sich oft himmelschreiend naiv und doof verhält – gerade eingedenk der Tatsache, dass er sich schon jahrelange in Iron City durchschlägt. Wesentlich interessanter ist da die Erforschung von Idos dunklen Seiten und Geheimnissen, bei welcher dem Film eine wesentlich größere Ambivalenz gelingt. Gleiches gilt für Chiren: Die mag die Schurken unterstützen, erscheint aber auch immer wieder als Getriebene der Umstände, weshalb man sie nicht eindeutig veroten kann. Solche Momente peppen das sonst nach bekannten Mustern funktionierende Gute-geknechtete-Lebenskünstler-gegen-mächtige-Dunkelmänner-Spektakel auf, das ganz bewusst nicht auf den ironischen Duktus heutiger Blockbuster setzt. Eine Szene unterläuft auf amüsante Weise eine pathetische Ansprache Alitas, hin und wieder gibt es ein paar nette Oneliner, aber Rodriguez und Cameron erzählen „Alita: Battle Angel“ als Spektakel, das dem Ernst seiner Geschichte vertraut, auch mal Mut zur Naivität hat: Das ist durchaus mal eine Abwechslung inmitten der augenzwinkernden Kinolandschaft, in der Dauerironie manche Fallhöhe abschwächt.
Insofern muss man „Alita: Battle Angel” seinen Stilwillen lassen: Mit einer atemberaubenden Ästhetik und einem famosen Design zaubern Robert Rodriguez und James Cameron als treibende Kräfte einen Blockbuster auf die Leinwand, der Mut beweist, trotz hohem CGI-Einsatz noch auf eine körperliche Dimension in den Actionszenen achtet und fast durchweg stark besetzt ist. Würde das Duo noch mehr auf Singularität achten, wäre „Alita: Battle Angel“ allerdings noch besser: So wirkt der Film nur wie ein Auftakt, der manchen Plotstrang in der Luft hängen lässt und keinen richtigen Schurken etabliert, da es zu viele davon gibt. Das verprellt in seinem offensichtlichen Schielen auf Sequels, die es bei Misserfolg leider nicht geben wird. Das wäre nicht nur angesichts der ästhetischen Möglichkeiten schade, sondern auch weil es erzählerisch noch Luft nach oben gibt.