Eine Kritik von "The_Captain":
In feinfühligen Bildern entwickelt Regisseur Schnabel ein intensives, unkonventionelles Biopic rund um den Maler van Gogh, in dem es weniger um das Leben, sondern viel mehr um das Gefühl für van Gogh und sein Schaffen geht.
Ähnlich wie die Briefe des zu Lebzeiten oft geschmähten Künstlers bietet Schnabel mehrere Wege an, um die vielschichtige Person hinter der visionären Kunst zu ergründen, ohne sich zu lange auf die Konstruktion eines bestimmten Narrativs zu versteifen.
So entsteht ein Film, der mit hohem Verständnis für das Oeuvre des Niederländers ganz in seinem Sinne erzählt, ein überragender Willem Dafoe trägt den Film und gibt alles in die Figur, was er geben kann - eine Oscar-Nominierung war die Folge. Dass Dafoe mit dieser Meisterleistung bei der 2019er Verleihung gegen die belanglose Freddy Mercury Darstellung eines Rami Malek verloren hat, kaum zu fassen, aber wohl eher eine politische Entscheidung.
Hervorzuheben ist auch der emotionale Soundtrack, der die zum Teil fast spirituell anmutenden Bilder passend untermalt und sie mit Seele füllt. Manchmal sprechen ruhige Klaviertöne für Vincent, manchmal nur das Rauschen des Windes - der Maler, der seinen Blick so oft auf die kleinen Leute, die einfachen Menschen, die unbeachteten Wunderwerke der Natur gerichtet hat, bekommt so ein angemessenes Echo, das dem empfindsamen Blick des Genies ein akkustisches Äquivalent gegenüberstellt.
Der größte Kritikpunkt bleibt der Stoff selbst. Eine gleichzeitig so mysteriöse wie wegbereitende Persönlichkeit adäquat abzubilden und ihr gerecht zu werden, ohne zu viel neuere Folklore oder Interpretation hinzu zu fügen ist schwierig, aber der Film macht es geschickt, scheitert aber trotzdem am zu komplexen Thema, der Psyche eines Virtuosen.
Gleichzeitig wird die wichtigste Schaffensperiode van Goghs nur kurz angerissen und nicht weiter beleuchtet: Aber auch hier nur Abzüge in der B-Note. Diesen Anspruch hat der Film nicht.
Es geht nicht um ein Abbild der Wirklichkeit, genauso wie es van Gogh nicht um dieses ging. Im Mittelpunkt steht ein Gefühl für die Natur, die Menschen und die Welt, ein Blick für das Ungesehene und der Versuch für eine kurze Zeit aus den Augen des vielleicht wichtigsten Malers der Moderne, ja aus den Augen des Vaters der Moderne zu blicken. Denn:
"Nur wer ein Auge dafür hat, sieht etwas Schönes und Gutes, in jedem Wetter, er findet Schnee, brennende Sonne, Sturm und ruhiges Wetter schön, hat alle Jahreszeiten gern und ist im Grunde damit zufrieden, daß die Dinge so sind wie sie sind."
-Vincent van Gogh
9/10