Eine Kritik von "Psst!":
Tarantinos Filme werden oftmals als ein gewissermaßen eigenes Genre wahrgenommen, dessen Sujet in erster Linie durch Verweise auf den Film in allen seinen Variationen geprägt wird. Hinzu zu Zitaten in formalästhetischer und inhaltlicher Prägung gesellt sich dann ein Hang zur Gewaltexplosion und zur Auflösung von Genregrenzen oder anachronistischer Musikeinsatz. Verbeugung und Ironie gehen dabei Hand in Hand und so hat Tarantino sich erfolgreich allen zeitgenössischen Moden des Films entbunden und dem Publikum vergessene Genres, Namen oder Songs nicht nur nahegebracht, sondern gleichzeitig zum Kult erklärt. Er gibt dem Zuschauer dabei immer die Möglichkeit, sich besonders schlau und wissend zu fühlen, wenn man beispielsweise ein Bildzitat zuordnen kann. Und der Zuschauer dankt es, indem er dann im Kino flüsternd seine Sitznachbarn auf den Geistesblitz hinweist. Tarantino - das ist Kino für selbsterklärte Filmwissenschaftler und Zelluloid-Nerds. Bei alledem bleibt immer die Gefahr der Abnutzung und oftmals kommt es mir so vor, als lauere die Welt nur darauf, dass dem Autor und Regisseur mit dauerhaftem Wunderkind-Status ein Fehlschlag unterläuft, indem er eben diese doch recht nervige Zielgruppe oder auch den durchschnittlichen Kinogänger innerhalb seines selbst gelegten Maßstabs enttäuscht.
Und den Kritiken folgend könnte man glauben, „Once Upon A Time In ... Hollywood“ sei nun dieser Fehlschlag. Inhaltslos, unpointiert und orientierungslos, selbstherrlich - das sind so die negativen Schlagworte, mit denen sich manch einer mit Grausen an den Kinobesuch von „Nr. 9“ erinnerte. Aber wie zuvor beim redseligen „The Hateful 8“ kann ich persönlich diese Kritiken nicht nachvollziehen und wundere mich über die Ansprüche, die an Kinofilme gestellt werden. Sollte jemandem zugemutet werden, mal 5 Minuten die Unterhaltung nicht in mundgerechten Häppchen in den aufgesperrten Schlund gestopft zu bekommen, gehen viele Zuschauer gleich auf die Barrikaden, als hätte man ihr Erstgeborenes gefordert. Entschleunigung ist gewissermaßen heute die Erbsünde des zeitgenössischen Kinos, das vom Disneykonzern auf die permanente neuronale Befeuerung gedrillt wurde. Aber gerade dem stellt sich Tarantino herrlich gleichgültig entgegen und setzt selbstbewusst auf seine Fähigkeit, Geschichten interessant über einen ganzen Film zu erzählen. Mal ehrlich: In sämtlichen Blockbustern der letzten Jahre hätte man 15 Minuten vor Schluss gehen können, ohne dass man etwas verpasst hätte oder sogar den Kern eines Films nicht mitbekommen hätte. Das kann man hier nun wahrlich nicht behaupten.
Das liegt in der mutigen Entwicklung des Handlungskerns und auch in der Darstellung der handlungsrelevanten Figuren. In der Szene, in der Margot Robbie als Sharon Tate im Kino ihren eigenen Film sieht und sich über die Zuschauerreaktionen auf ihre Performance freut, ist geradezu herzzerreißend. Wer sich dort nicht vom Film und seinem weiteren Verlauf mitreißen lässt, dem kann ich auch nicht helfen. Und wer sich nicht über die gradlinige Darstellung von Brad Pitts Charakter freut, die eben nicht das filmtypische Scheitern vor dem Sieg vom Helden abverlangt, der ist wohl von diesem stumpfen Disney-Drill des Immergleichen so vereinnahmt, dass ihm hier eine der charmantesten Wirklichkeitsdekonstruktionen des Kinos entgeht. Der Schluss des Films hat mich wirklich etwas umgehauen und wie bereits in „Inglourious Basterds“ nutzt Tarantino den Film als Spielwiese, um die Welt zu einem besseren, cooleren und gerechteren Platz zu machen. Das alles bekommt viel Zeit geschenkt, um sich zu entwickeln, aber rückblickend hätte man keine der Szenen kürzen oder gar weglassen können, wenngleich während der Sichtung manchmal etwas Leerlauf aufzukommen scheint.
Die bereits allerorts erwähnten Szenen um Hollywoodlegenden, auf die weite Teile des Publikums neben den Manson-Morden anscheinend hauptsächlich aus waren, kommen dann als Bonbon dazu und lockern solche etwas lang geratenen Etappen auf, während Tarantino seine Hauptfiguren den Film tragen lässt und Erwartungen vollkommen ungeniert unterläuft. Und der allwissende und alles kommentierende Filmkenner hält sich halt mit dem Dekodieren von Zitaten und Anspielungen über Wasser, von denen es natürlich wieder mehr als genug gibt, wenngleich diesmal das im Zentrum stehende Genre des Western vielmehr als Sinnbild für die Darstellung einer sich im Umbruch befindenden und sich stets neu erfindenden Traumfabrik dient.
Fazit
Tarantino erweist sich erneut als kreativer Tausendsassa, der seiner Linie treu bleibt und trotzdem den Zuschauer überrascht. Der Mann findet aus jeder scheinbaren Sackgasse einen Ausweg, der nicht die innere Logik zerfetzend den Film ad absurdum führt, sondern mehr ein Zeichen dafür ist, was für ein Kenner von Materie und Zuschauerpsyche er ist. Vielleicht ist „Once Upon A Time In ... Hollywood“ kein persönliches Meisterwerk, aber mit Sicherheit ist der Film ein gelungenes Gesellenstück eines Filmschaffenden, der in Hitchcock, Leone usw. Maßstäbe seines Handwerks erkennt. Es ist schade, dass voraussichtlich nur noch ein letzter Film von Tarantino kommen soll, denn letztlich ist er der einzig verbliebene Freigeist in Hollywood, der mit seiner Marke den Studios trotzdem noch Einnahmen verspricht, ohne jedes Bedürfnis des Zuschauers befriedigen zu müssen. Ein bitter notwendiger Ignorant und begnadeter Filmemacher, der tatsächlich noch große Geschichten jenseits heutiger Minimalvariation erzählen kann.Kino kann und Kino darf alles. Schön, dass wenigstens ein großer Name diese Freiheiten seines Berufes noch nutzen kann, auch wenn sein einst größter Mäzen nun vor Gericht sitzt.
Auch schön: Margot Robbie hier zu sehen, bevor sie sich wieder durch erbärmlichen Schund wie „Suicide Squad“ oder eben gerade „Birds Of Prey“ wurschteln muss. Ich bin überzeugt, hier den Unterschied zwischen Leidenschaft für die eigene Arbeit und dem Abliefern einer bezahlten Leistung nach Unterschrift eines Vertrags erkennen zu können.