Eine Kritik von "Lesotho":
Naima (Mina Farid) ist ein ganz normales 16jähriges Mädchen, das in Cannes lebt. Ihr bester Freund ist ihr schwuler Mitschüler Dodo, der sie überrede, wie er Schauspieler zu werden. Eines Tages im Sommer steht ihre ältere Cousine Sofia (Zahia Dehar) vor der Tür und die beiden verbringen faule Sommertage miteinander. Naima ist jedoch von der Freizügigkeit, Kompromisslosigkeit und emotionalen Distanz (zu Männern) ihrer Cousine verwirrt und fasziniert zugleich. Irgendwie hat sie immer Geld oder Sugardaddys am Start, die ihr teure Geschenke machen. Zufällig lernen die beiden die zwei älteren Männer Philippe (Benoit Magimel) und Andres (Nuno Lopes) auf deren Yacht kennen und Sofia fängt eine Affäre mit Andres an, während sich Naima langsam mit Philippe anfreundet…
Bei diesem Film hätte so viel daneben gehen können, zum Glück hat Regisseurin Rebecca Zlotowski so gut wie alle Fettnäpfchen umgangen! Der Film lief 2019 auf den Filmfestspielen in Cannes und er zeigt auch die weniger glamourösen, normalen Ecken, was vermutlich für Einheimische auch mal ganz erfrischend ist. So ist Naimas Mutter Zimmermädchen in einem edlen Hotel und Naima nach einer Bootstour überrascht, wie nah doch Italien ist, wo sie in ihrem ganzen Leben noch nie war. Viel diskutiert war der Film in Frankreich aber vor allem wegen der Hauptdarstellerin Zahia Dehar, die als minderjährige Edelprostituierte recht engen „Kontakt“ mit Teilen der französischen Fußballnationalmannschaft hatte. Nach dem Skandal erfand sie sich aber neu, als Designerin, Schauspielerin und Model, u.a. mit diesem Film. Und sie ist perfekt in dieser Rolle, als leicht verlorene, attraktive, sinnliche und undurchschaubare Sofia, die die Jüngere unter ihre Fittiche nimmt, sie prägt, aber anders, als man es als geneigter Zuschauer vermutet. Und die Regisseurin umschifft auch alle anzüglichen Fettnäpfchen, die das Thema hat und in die eine weniger reflektiver Regisseur (und dann noch ein französischer!) geradeweg gestapft wäre. Zentrum des Films ist die sanfte Freundschaft zwischen Sofia und Naima. Besonders Naima dabei zuzusehen, wie sie sich öffnet und stärker (durch ihre Cousine) wird, macht einfach Spaß und Mina Farid macht ihre Sache super. Die beiden männlichen Hauptdarsteller sind auch lebensechte Figuren, v.a. die unausgesprochene Zuneigung zwischen Philippe und Naima ist schön. Klar, der Film hat kleine Längen (obgleich er nur 95 Minuten lang ist) und die Andres‘ Freundin in Italien, Calypso, ist furchtbar kapriziös und prätentiös, v.a. gegenüber Sofia, obgleich diese fast schüchtern in der Situation ist und z.B. zu ihren Schönheits-OPs auf ganz souveräne Weise steht. Calypso ist dann wieder eine fast typische, klischeehafte Figur eines französischen Films, wohingegen alle anderen Figuren wunderbar liebevoll gezeichnet sind.
„Das leichte Mädchen“ ist eine schöne, stimmungsvolle, sommerliche, flirrende Coming-of-Age-Geschichte; nichts wahrlich Weltbewegendes, aber die Chemie der beiden Hauptdarstellerinnen ist toll und es ist erfrischend, eine Figur wie Sofia nicht bewertet oder sexualisiert zu sehen, sondern so zu lassen, wie sie ist. Zlotowski inszeniert sie zwar als aufregendes, sehr sexy Rätsel, aber zeigt auch die Unsicherheiten und Normalitäten dahinter. Schön. 7,5/10.