Eine Kritik von "Leimbacher-Mario":
Ruf der Pflicht
Bei sehr guten Videospielen versinkt man komplett im Erlebnis, in der Welt vor einem. Bei sehr guten Filmen geht es einem ähnlich, die Gedanken schweifen kaum mal ab. „1917“, irgendwo im Niemandsland zwischen „Dunkirk“ und „The Revenant“, ist gefühlt manchmal eine Mischung aus beiden Welten, Games und Hollywood. Und in seinen besten Momenten war ich auch mittendrin im Geschehen, bei den zwei jungen Soldaten, die einen extrem wichtigen Auftrag haben, der hunderten Kameraden das Leben retten könnte. Doch dann gibt es auch immer mal wieder Sequenzen und überraschend ruhige Verschnaufpausen, die Leerlauf und Leere preisgeben, wodurch meine Gedanken dann doch nicht mehr nur zwischen den Schützengraben und Frontlinien lagen, wo mich „1917“ (auf sehr, sehr hohem Niveau!) etwas enttäuscht hat. Doch das soll und kann meine Ehrfurcht vor der Leistung aller Beteiligter kaum schmälern...
„1917“ ist ein moderner und direkter Kriegsfilmklassiker. Zu gut ist die technische Brillanz, von der famosen, ja meisterhaften Kamerarbeit von Roger Deakins (für die ein Oscar nächsten Monat unumgänglich ist!) über die brachiale, tickende Soundkulisse oder die detailgetreuen Schauplätze und Ausstattungen bis zur einnehmenden Gänsehautatmosphäre - all das ist mehr als gut, mehr als beeindruckend, mehr als „optimal durchgetaktet und geplant“. Zudem spielen die zwei jungen (zum Glück eher unbekannten) Männer das eindringlich und sowohl ihre Freundschaft als auch ihre Angst, ihre Hoffnung und die kaum vorhandene Zeit zur Verarbeitung oder gar Trauer, gingen mir unheimlich nahe. Viel näher, als die Gastauftritte von Megastars wie Cumberbatch oder Firth, die ihre Sache aber natürlich auch ordentlich machen. Am Ende bleiben jedoch mehr Respekt und Hochachtung vor der Technik und dem Aufwand und dem Epos als Ganzes, als wirkliche, nachhaltige Berührtheit und Gefühle. Vielleicht war das dazu dann doch alles etwas zu fern, zu durchkomponiert, zu artifiziell und zu weit weg. Wie das edelste Let's Play-Video aller Zeiten?! Trotz der unheimlichen (vorgegaukelten?) Nähe. Schwer zu beschreiben. Szenen wie der finale „Run“ zum Ziel, die gesamte, nahtlose erste Viertelstunde oder auch eine aufwühlende Fahrt in einem Konvoi nach einer traurigen Schlüsselszene, werden mir aber dennoch lange und gut im Gedächtnis bleiben. Die Begeisterung ist eben bei mir vielleicht nur nicht ganz soo massiv wie erhofft oder eingeplant. Wenn es trotzdem den wichtigsten Goldjungen in zwei Wochen geben sollte, Favorit ist Mendes WWI-Kracher ja, dann wäre ich mit Sicherheit aber auch nicht unzufrieden oder aufgebracht. Dazu ist „1917“ einfach zu monumental, (positiv) klassisch und modern zugleich, zu groß in all seinen Unterfangen und zu erhaben in seiner Kamerarbeit, die, ich kann mich da nur wiederholen, schlichtweg nicht von dieser Welt ist. Ich steh zudem auch auf so „One-Shot-Wunder“, selbst wenn sie wie hier nur clever danach aussehen.
Fazit: immersiver, packender und moderner geht Kriegskino kaum. Audiovisuell ein Monument, eine Wucht, schlicht atemberaubend. Und emotional manchmal auch nah dran. Spektakulär, unendlich aufwändig und beeindruckend durch und durch. Selbst wenn er seine Längen hat, man genauso wenig gewisse Videospiel-Vibes wie nolan'sche Anflüge abstreiten kann - das ist schon ein Erlebnis, das man im Kino nicht verpassen sollte. Riesig, breit und doch ganz nah dran. Das Gefühl, dass noch mehr drin gewesen wäre, lässt sich aber dennoch irgendwie nicht abschütteln...