Eine Kritik von "Rashkaldor":
Bei diesem Film haben mein Bauchgefühl und meine Schundabwehr-Vorwärtsverteidigungskräfte kläglich versagt. Erster Weltkrieg, dachte ich – das interessiert dich. Mendes, Firth, Cumberbatch, dachte ich – was soll da schiefgehen. 3 Oscars und 2 Golden Globes, dachte ich – muss ja auch nicht zwingend ein Makel sein (obwohl ich bei den Golden Globes schon etwas stutzig hätte werden können). Jedenfalls habe ich mir 1917 angesehen – und bin erst nach fast zwei Stunden aus dem Albtraum erwacht.
Wie bei dem schweren Verkehrsunfall, wo man dem Vernehmen nach nicht weggucken kann, konnte ich mich nicht lösen, konnte nicht glauben, was ich da sah. Irgendwas muss doch noch kommen. Irgendwie muss die unablässig heranrollende Welle der Zumutungen doch einen Sinn ergeben. Gleich setzt die heilende Selbstreflexion ein. Gleich stellt sich heraus, dass das gar kein Kriegsfilm ist, sondern eine zeitlose allegorische Reise homerischen Zuschnitts. Gleich – irgendwas halt. Aber denkste. Ich habe dann bis zum finalen fischhaften Händeschütteln des Helden mit dem Bruder des Getöteten durchgehalten. Hierfür will ich Satisfaktion – und sei es nur dadurch, dass ich mir mit einer Besprechung Luft mache (ungeachtet dessen, dass ich etwas spät zur Party bin).
Fangen wir mit dem Einfachen an: Der gefeierte One-Shot erfüllt keinerlei filmische Funktion. Er trägt nichts, erhellt nichts, eröffnet keine Perspektiven; er unterstützt weder die Handlung noch ist er ästhetisch in irgendeiner Weise innovativ oder auch nur interessant. Es hätte nicht den allergeringsten Unterschied gemacht, wenn man den Film mit klassischen Schnitten gedreht hätte. Alles, was der Streifen hier vorzuweisen hat, sind leerlaufende Virtuosität und kindische, auf den unkritischen Zuschauer berechnete Angabe. Und auch wenn die Rechnung kommerziell aufgegangen sein mag: Das glorreiche Stilmittel fällt buchstäblich – nicht irgendwie vergleichbar, sondern gnadenlos buchstäblich – in dieselbe Kategorie wie „Mami, guck‘ mal, ich kann den ganzen Weg freihändig fahren!“ und ist eben nur aufwendiger und kostspieliger. „Sicher kannst Du das, Schätzchen. Und jetzt halt‘ die Klappe.“
Dass die Ausgangssituation des Films etwas anderes als hanebüchener Mumpitz ist, würde wohl nicht einmal der glühendste Fan ernsthaft behaupten wollen. Aber das ist für die Bewertung letztlich irrelevant. Viel schwerer wiegt, dass jedwede dramaturgische Kurve, jede Handlungsstringenz, jede Glaubwürdigkeit und jeder inhaltliche Akzent fehlen. Die handelnden Personen sind reine Masken – profillos, bar aller persönlichen Entwicklung und ohne auch nur das leiseste Anzeichen eines moralischen (oder sonstigen) Konfliktes. Alles in diesem Film brüllt einem die atemberaubenste Langeweile ins Gesicht, während Mendes darauf setzt, dass sein kleiner Trick zusammen mit ein paar Actioneinlagen und exzessivem bühnenbilderischen Einsatz die vollkommene Leere verdeckt. Zu Letzterem: Ja, die Bilder sind mit ausgesuchter Sorgfalt zusammengestellt, in einem manieristischen Sinne schön und auf dieser Ebene auch zu genießen. Aber man hat die bodenlose Beliebigkeit schon nach kurzer Zeit satt. Mit aller wünschenswerten Klarheit lässt sich das an der Präsentation der Schlachtfelder ablesen. Alles passt hier – aber nichts hat eine Bedeutung. Die kunstvoll arrangierten Körper und Körperteile assoziiert der Zuschauer gar nicht erst mit menschlichen Überresten, sondern nimmt sie lediglich als Elemente einer auf Gefälligkeit kalkulierten Bildkomposition wahr. Das Grauen des Krieges wird reduziert auf Wimmelbilder mit Leichen. Daher auch die Altersfreigabe: Die FSK hat erkannt, dass eine solche seelenlose Oberflächlichkeit kaum geeignet ist, ein durchschnittliches Schulkind zu verstören – trotz der Ratten, die aus aufgerissenen Brustkörben huschen.
Dennoch: All dies würde aus 1917 nur einen schlechten Film machen, eine Enttäuschung – nicht aber das abgrundtief widerwärtige Machwerk, das er tatsächlich ist. Um das glaubhaft zu begründen, bedarf es des Blickes auf die von Mendes verwandten Topoi und vor allem auf die zugrunde liegenden Botschaften des Films. Damit die Analyse vom Umfang her nicht völlig aus dem Ruder läuft, beschränke ich mich hier auf ein paar besonders markante Punkte – beginnend mit der Ankunft der beiden Helden hinter den ursprünglichen deutschen Linien.
In einem labyrinthischen Unterstand der Deutschen – der wohl nicht zufällig eher an die unterirdischen Bunkersysteme der Vietcong vor Saigon erinnert – trägt sich zunächst folgende absolut glaubwürdige Begebenheit zu: Eine mies animierte CGI-Ratte reißt in unmittelbarer Nähe der beiden Helden einen von der Decke (zum Schutz vor Ratten…) herabhängenden Brotbeutel zu Boden und schleift ihn rücklings hinter sich her. Dabei berührt sie mit ihrem Rattenarsch einen Stolperdraht, der umgehend die mit ihm verbundene fiese Sprengladung auslöst. Soldat A wird vollständig unter kindskopfgroßen Gesteinsbrocken begraben, während der unmittelbar neben ihm stehende Soldat B wie durch ein Wunder unversehrt bleibt. Freundlicherweise hält sich der weitere Einsturz des Unterstandes so lange zurück, bis B seinen Kameraden aus dem Steinhaufen hervorgezogen hat – natürlich unverletzt. Und weiter geht es wie in einem billigen Action-Film der Achtziger: Der Einsturz progrediert ordnungsgemäß so, dass die Brocken stets dort niederregnen, wo sich die Protagonisten eben noch befunden haben, und also die Flucht malerisch unterstreichen (macht sich auch für die Kamerafahrt gut). Erwähnenswert ist noch der Auftritt des „Minengrabens“, dessen Aufgabe darin besteht, ein Loch im Boden zu sein, über das der staubblinde Held indianajoneshaft rüberspringen kann. Alle können sich retten.
Später gelangt man zu einem zusammenhanglos in die leere Landschaft gepflanzten Pappmaché-Bauernhof. In diesem sind nur zwei Objekte auf wunderbare Weise der Zerstörung und dem Feuer entgangen: Die Puppe eines kleinen Mädchens in den verkohlten und ansonsten völlig leeren Ruinen des Wohnhauses, die der Held dann gedankenschwer betrachten kann (das ist ihre absolut einzige Funktion) und ein großer Eimer mit frischer Milch, der sich rätselhafterweise auf freiem Boden mitten in der zerstörten Scheune findet. Nicht einmal verschüttet ist etwas, so dass sich George MacKay mit der hohlen Hand einen Schluck herausschöpfen und sogar seine Feldflasche mit dem in filmischen Kontexten doch etwas prätentiösen Saft füllen kann. Und obwohl die Szene leicht befremdet, ahnt man hier noch nichts Böses. Aber das dicke symbolische Ende kommt noch.
Anschließend beobachten die beiden Protagonisten einen Luftkampf, den naturgemäß der deutsche Pilot verliert, dessen Flieger dann auch abschmiert und durch einen ganz bemerkenswerten Zufall direkt auf die beiden zusteuert (Doch vermutlich hat sich der Pilot überlegt, dass er seine Maschine im ansonsten bis an den Horizont freien Gelände am sichersten dadurch zu Boden bringt, dass er auf die Scheune zielt). Nachdem dann der Flieger missionimpossiblemäßig mit rotierenden Propellerblättern unmittelbar vor den Helden zum Stehen kommt, befreien diese den Piloten natürlich aus der brennenden Maschine. Und jetzt wird es wirklich unappetitlich. Mendes entblödet sich im Folgenden nicht, dem Zuschauer eines der Top 3 der abgegriffensten Klischees aus unzähligen Kriegsfilmen anzudienen: Der so selbstlos vor dem Tod bewahrte Feind (i.e. Hunne, Schlitzauge, Araber) dankt es seinem arglosen Retter dadurch, dass er ihn seinerseits heimtückisch ins Jenseits befördert. Üblicherweise kommt dabei eine Handgranate zum Einsatz, aber ein Messer tut es auch. Und gleich darauf – quasi ungeschnitten – begegnen wir einem weiteren unerträglichen Vertreter der Top 3 (und keine Sorge: Auf den letzten verzichtet der Regisseur dann auch nicht mehr). Der so empörend niedergestochene Junge windet sich nicht etwa in Qualen auf dem Boden, noch trommelt er im Todeskampf mit den Fersen auf den Sand oder krallt sich schreiend am Kragen seines Kameraden fest – nein, er fragt höflich, ob er denn jetzt sterben müsse, und drückt – nachdem ihm sein Freund auf Basis einer gründlichen Diagnose durch das geschlossene Uniformhemd hindurch solches positiv beschieden hat – ein Foto seiner Familie an die blutige Brust und bittet vor seinem friedlichen Dahinscheiden darum, seiner Mutter zu schreiben. Das ist nichts weniger als die kalkulierte Apotheose des schwülstigsten Kriegsfilm-Schunds überhaupt.
Aber das sind fast Nebensächlichkeiten. Vollständig unfassbar für mich ist, dass Mendes die Chuzpe besitzt, das – zumindest im westlichen Film – mittlerweile leidlich angegammelte Symbol der Kirschblüte (vergängliche Schönheit und so; Sie wissen schon) dem Zuschauer nicht nur einmal, sondern gleich zweimal mit unverschämtester Verve aufs Auge zu drücken. Der Kirschblütenregen kurz vor dem Ende der Reise auf den leichentragenden Fluss dürfte so ziemlich der übelste Kitsch sein, der jemals auf Zelluloid gebannt worden ist (und ich spreche hier nicht nur von Kriegsfilmen). Und das ist gar nicht mal das Schlimmste, wenn man den ersten geschmacksaversen Einsatz des Symbols rekapituliert: Da stoßen unsere Helden bei dem Bauernhof auf einen Obstgarten, in dem diese verdammten Boches alle blühenden Kirschbäume einfach umgesäbelt haben. Vermutlich aus reiner Bosheit, denn so wirklich kriegswichtig sind blühende Obstbäume ja nun nicht. Doch wenn sich die Chance bietet, einen Inbegriff der Reinheit zu beschmutzen, sind die Deutschen immer gerne dabei. Aber damit kommen sie nicht durch, denn wie Dean-Charles Chapman bei dem Anblick fachmännisch, aber auch ein bißchen bewegt feststellt, werden hier neue und noch zahlreichere Kirschbäume wachsen, „wenn die Kerne verrotten“ – das wird es ihnen so richtig zeigen.
Jedenfalls hatten die Hunnen bei Ihrem Abzug genügend Muße, den Garten mit deutscher Gründlichkeit abzuholzen und sogar noch einen meterdicken Baum auf den Weg kippen zu lassen, der den eintreffenden Konvoi der Briten (Versuchen Sie lieber nicht zu verstehen, warum der plötzlich auftaucht und warum er unsere beiden Helden zuvor nicht einfach mitnehmen konnte) fast 30 Sekunden aufhalten kann. Hingegen blieb leider keine Zeit, die zahlreichen Kühe auf der Weide zusammenzutreiben und als Proviant mitzuführen; statt dessen haben sie die armen Viecher mit dem Maschinengewehr (!) niedergemäht, so dass die Kadaver in gleichmäßigem Abstand – wie bei einer Pünktchentapete – zur Anklage der bloody bastards pittoresk auf den Wiesen verstreut liegen (hier hat jemand augenscheinlich noch nie Kühe beim Grasen beobachtet). Das Verhalten der Deutschen leuchtet aber auch völlig ein, schließlich war die Versorgung ihrer Soldaten 1917 bekanntermaßen mehr als üppig; da muss man sich nicht für das Fleisch von ein paar Kühen inkommodieren. Ganz anders bei den heldenhaften Briten; hier teilt George MacKay gleich zu Beginn sein etwa 5 Quadratzentimeter großes Wurstbrot mit seinem Freund und steckt dann noch etwas davon weg – für schlechte Zeiten. So gehen Kameradschaft und Durchhaltewille.
Und damit sind wir bei dem ekelerregendesten Aspekt dieses – abgesehen vom Handwerklichen – durch die Bank ekelerregenden Films. Es erschließt sich nicht sofort, aber alles spricht dafür, dass die ideelle (natürlich nicht faktische) Zielgruppe dieses Propagandastreifens die fanatischen Brexiters sind. In jedem Moment (fast hätte ich geschrieben: in jeder Einstellung) wird klargemacht, dass hier die aufrechten, kameradschaftlichen, pflichtbewussten und bei allem Grauen anständig gebliebenen britischen Truppen gegen die allseits verachtenswerten, brutalen, versoffenen und schlechterdings unfähigen Hunnen kämpfen (nicht einmal auf die in englischen Kriegsfilmen offenbar obligatorischen „Schweinehunde“ müssen wir verzichten). Der abstoßende Kleinbürgerpatriotismus ist zugegebenermaßen recht gut kaschiert, aber er durchzieht alles: Vom General, der nur um seine Männer besorgt ist, über die stets hilfreichen Kameraden (Wenn wir alle an einem Strang ziehen, bekommen wir den LKW wieder frei, Jungs!), die commonwealthkompatible Truppenzusammensetzung – Schwarze, Sikh, Briten aller Dialekte in einem einzigen Regiment (nebenbei, wenn inzwischen auch schon egal, der verlogenste Bullshit überhaupt, wenn man sich die damaligen Truppengliederungen anschaut; ist aber halt wichtig für den Brexit-Kult) – bis hin zum Kommandierenden des halb gestoppten (wie eigentlich?) Angriffs, der bei aller zur Schau getragenen Kampfeslust doch Pflicht und Ratio folgt, und am Ende seine Ordonanz, der das abschließende „Gut gemacht, Junge“ obliegt. Wer dachte, er hätte mit Dunkirk nun endlich den Bodensatz des filmgewordenen Jingoism erlebt, sieht sich mit 1917 eines Besseren belehrt.
Leid tut es mir nur um Colin Firth und Benedict Cumberbatch, die ich beide sehr schätze. Sie haben zwar nur winzige Kurzauftritte (hier ging es erkennbar allein um die Namen auf dem Plakat), aber ihrem langfristigen Renommee wäre es sicher zuträglicher gewesen, hätten sie in einem billigen Porno mitgespielt statt in diesem cineastischen Sondermüll.
Fast hätte ich es vergessen, ich bin noch den dritten Spitzenkandidaten der abgenudelten Kriegsfilm-Klischees schuldig: In den Trümmern der zerstörten Stadt trifft George MacKay eine junge, hübsche Französin, die dort mit einem Baby ausharrt (nicht ihres natürlich, Gott bewahre). Nach anfänglichem Schrecken sorgt sie sich rührend um den Befreier und behandelt seine Schusswunde am Kopf erfolgreich durch sekundenlanges Abtupfen mit ihrem Taschentuch. Beide entwickeln trotz der verdammten Sprachbarriere romantische Gefühle füreinander, aber der Krieg. Und die Pflicht. Kennt man ja.
Doch jetzt endlich hat die Milch in der Feldflasche – die durch alle Widrigkeiten mitgeschleppt wurde und allen Gefahren trotzte – ihren großen Augenblick: Sie allein, die mystische Ernährerin, bewahrt das Baby vor dem sicheren Hungertod. Ich geh‘ dann mal im Strahl kotzen.