Eine Kritik von "vodkamartini":
Im Zweiklang mit der Macht
„Ein großes Finale es sollte sein!" So oder ähnlich würde sich vermutlich Jedi-Meister Yoda über „Episode IX" äußern. Ein Jedi schöpft seine Kraft aus der Ruhe, aus der Konzentration, aus dem was ihn gerade umgibt. In J.J. Abrams finalen Star Wars Abenteuer "Der Aufstieg Skywalkers" findet sich von diesen Attributen aber leider nur wenig, vor allem im ersten Akt. Die alles umfassende und durchdringende Macht ist das zentrale Motiv der Star Wars-Saga. Unkundigen wird sie gerne als einer Art Magie erklärt. Magie war es auch, was die Urtrilogie von George Lucas zu einem popkulturellen Phänomen machte. Für die Sequel-Trilogie unter der Regide von J.J. Abrams und dem allmächtigen Disney-Konzern gilt das nur bedingt. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen.
Freude und Begeisterung waren groß, als endlich die von Star Wars-Fans lang ersehnte Weiterführung der Saga über die Leinwände rauschte. "Episode VII: Das Erwachen der Macht" (2015) brachte das alte Star Wars-Feeling wieder zurück, das George Lucas mit seiner bemühten Prequel Trilogie nicht mehr reaktivieren hatte können. Als sich der Rauch nach all den Rekorden und Jubelarien aber etwas verzogen hatte, wurden aber auch der Recyclingcharakter und die Ideenarmut der Neuauflage sichtbar. Mit "Episode VIII: Die letzten Jedi" (2017) ging Disney ungewohnt wagemutig den richtigen Schritt und lies Independent-Regisseur Rian Johnson die ein oder andere eigenwillige Idee verwirklichen, was der stagnierenden Saga sogleich neuen Schwung verpasste und interessante Perspektiven eröffnete. Denkste!
Prompt halbierte sich das Einspiel beinahe, viele Fans waren gar so entrüstet, dass sie das nächste Star Wars-Spinnoff "Solo - A Star Wars Story" (2018) ignorierten. Johnson hatte in den Augen vieler schlicht Verrat begangen, vor allem die Transformation des elanvollen, jugendlichen Idealisten Luke Skywalker in einen mürrischen Eremiten-Griesgram war unverzeihlich und schmeckte angeblich auch Luke-Darsteller Mark Hamill so gar nicht. Das Saga-Finale hätte eigentlich der ebenfalls aus der Indie-Ecke kommende Colin Trevorrow inszenieren sollen, daran war nun im konservativen Hause Disney nicht mehr zu denken. Schadensbegrenzung war angesagt und so musste/durfte Wiederbelebungskünstler J..J. Abrams ein zweites Mal ran, um das taumelnde Flaggschiff wieder auf Kurs zu bringen. Dass dieser zwar immer ganz groß darin gewesen war aufregende Mystery-Boxen aufzustellen, diese aber dann nie zufriedenstellend öffnen konnte, hatte man in der Mäusezentrale offenbar verdrängt. Aber für alles gibt es bekanntlich ein erstes Mal, warum auch nicht beim Wundertütenbastler J.J.?
Eine solche Erwartungshaltung kann natürlich ordentlich nervös machen und wie zum Beweis tritt Abrams zunächst die hektische Flucht nach vorn an. Die erste Dreiviertelstunde ist ein wildes Hüpfen von einer Actionsequenz zur nächsten. Die Welten und Schauplätze wechseln schneller als man staunen und zählen kann. Nur erzählt wird dabei recht wenig. Immer noch ist die finstere Erste Ordnung nicht besiegt und der nun oberste Anführer Kylo Ren (Adam Driver) treibt weiter sein finsteres Unwesen. Und es kommt noch schlimmer. Der von Darth Vader in "Die Rückkehr der Jedi Ritter" (1983) getötete Imperator Palpatine (Ian McDiarmid) meldet sich aus dem Jenseits zurück. Ihn gilt es aufzuspüren, bevor der Galaxis maximales Unheil droht. Für Neuheldin und Widerstandshoffnung Rey (Daisy Ridley) sowie ihre Freunde Finn (John Boyega) und Poe Dameron (Oscar Isaac) hat diese Mission oberste Priorität. Also jagen sie einem ominösen Sith-Dolch nach, dessen Inschrift den geheimen Aufenthaltsort Palpatines enthält. Diese Team-Schnitzeljagd erinnert an die Suche der Avengers nach den Infinity-Steinen und läuft ähnlich schematisch, vor allem aber arg gehetzt ab. Es bleibt kaum Zeit sich mit den ohnehin nicht sehr charismatischen Helden der Prequel-Trilogie zu identifizieren, oder gar mit ihnen mit zu fiebern. Alles geht zu schnell, zu einfach, zu stromlinienförmig. Eine wirkliche Bedrohung ist kaum zu spüren.
„Episode IX" kämpft mit ähnlichen Problemen wie der Sequel-Auftakt, aber vielleicht ist das auch so gewollt. Die von Abrams inszenierten Star Wars-Filme ähneln in Anlage, Struktur und Figurenzeichnungen frappierend den Superheldenfilmen von Marvel (nur Johnson konnte sich ein wenig aus der Zwangsjacke befreien und wurde prompt abgestraft). Natürlich, sie sind ja auch aus demselben Mäusestall möchte man sofort reflexartig erwidern. Das Problem - insofern man darin eines sieht - liegt aber tiefer. Das Gehetzte, auf Hochglanz Polierte, möglichst alle mit ins Boot Nehmende ist ein Zeitgeistphänomen. Die heutigen Megablockbuster müssen global funktionieren, also baut man für jedes Land, jeden Geschmack, jede Befindlichkeit etwas ein. Für Ecken und Kanten, oder eine spezifische filmische Handschrift bzw. Textur ist da nur wenig Platz.
Sie sollen zudem auch die unterschiedlichen Fanerwartungen und Vorlieben befriedigen, also nimmt man auch darauf Rücksicht (vor allem den von „Episode VIII" Enttäuschten wird einiges an Kompensation geboten). Und sie müssen den Teamgedanken glorifizieren, denn in einer sich immer schneller drehenden Globalisierung zählt das Individuum, die Tat eines Einzelnen immer weniger. Technik und Fortschritt scheinen sich verselbständigt zu haben und von nicht mehr kontrollierbaren Mechanismen gesteuert. Also wird das Schicksal der Welt (oder gleich der ganzen Galaxis) quasi outgesourct, man überlässt die eigentliche Arbeit Superhelden, oder eben einer ebenfalls allem Irdischen entrückten Jedi-Heldin wie Rey. Identifikation ist da nicht mehr unbedingt gefragt, es geht um das Delegieren von Entscheidungen und Gestaltungskraft. Die neuen Star Wars-Filme - allen voran der nun vorliegende neunte Teil - sind also ein Spiegel gesellschaftlicher Zustände, Empfindungen und Strömungen. Man kann das beklagen, oder aber auch spannend finden.
Interessanterweise hat der Film seine besten, emotionalsten und relevantesten Momente, wenn er sich auf das Alte besinnt und dabei zur Ruhe kommt, also eben gerade nicht offensiv den Zeitgeist bedient. Und wenn er sich und dem Zuschauer die Zeit gönnt, die das grandiose Setdesign, die optisch beeindruckenden Schauplätze und die toll choreographierten Kämpfe einmal in epischer Breite genießen zu können. Die Auftritte von Harrison Ford und Mark Hamill sind kurz, aber bringen noch einmal die wehmütige Stimmung der Urtrilogie zurück. Auch die finale Rückkehr nach Tattooine ist ein solcher Moment, in dem Abrams zeigt, dass er nicht nur Fan ist, sondern auch verstanden hat. Vor allem aber das dramaturgische Herzstück des Films, das Duell zwischen Rey und Kylo Ren auf dem havarierten zweiten Todesstern inmitten tosender Wellen, zeugt von inszenatorischer Kraft und Vision. Überhaupt ist die symbiotische Beziehung von Heldin und Antiheld - dieser Zweiklang der Macht - die größte Stärke und beste Idee der gesamten Sequel-Trilogie und hier geht Abrams auch den von Rian Johnson eingeschlagenen Weg konsequent weiter. „Episode IX" bietet in diesen Sequenzen das große Drama, das einem solchen Saga-Abschluss würdig ist und versöhnt etwas mit dem wenig visionären Auftaktdrittel.
Abrams ist dort zu sehr mit dem Reparieren von Johnsons „Fehlern" beschäftigt, um dem Film eine eigene Identität zu gönnen. Wagnisse geht er keine ein, niemand soll diesmal verschreckt werden. "Episode IX" gerät damit insgesamt konventioneller und stromlinienförmiger als der kantigere und auch interessantere Vorgänger. Dazu passt dann auch Abrams erneut unverhohlenes Surfen auf der Retrowelle - auch das ein Zeitgeistphänomen, weil die glorifizierte Vergangenheit einen rettenden Ruhepol in der von Hetze und Unsicherheit bestimmten Gegenwart darstellt. So gesehen ist die Kopie von Plot und Versatzstücken des Urtrilogie-Finales „Die Rückkehr der Jedi Ritter" kein reiner Fanservice, oder die bewährte Nummer sicher (schließlich wurde mit „Episode VII" äußerst erfolgreich der allererste Star Wars Film einfach noch einmal erzählt). Ob bewusst oder unbewusst ist die aktuelle Retro-Besessenheit ein Reflex auf das unstete, zunehmend unübersichtliche und sich rasant verändernde Hier und Jetzt. Und was wäre prädestinierter aktuelle Strömungen und Empfindungen aufzugreifen und widerzuspiegeln als ein popkulturelles Massenphänomen wie der Spielfilm? Und sei es nur, um erfolgreich zu sein.
Was Martin Scorsese unlängst am Superheldenkino beklagte, wird nun, da die Saga mit einem großen Knall vollendet ist, teilweise auch im Star Wars-Universum deutlich. Echte Menschen, mit echten Konflikten und echten Gefühlen geraten mehr und mehr aus dem Fokus. Der Freizeitparkcharakter garantiert weltweiten Konsum, minus nachhaltiger Wirkung. Die Retrofixierung und -glorifizierung dagegen ist weniger ein Beleg für Einfallslosigkeit und Ideenarmut, als vielmehr Ausdruck einer Sehnsucht nach Identitätsstiftung in einer zunehmend unübersichtlichen Gegenwart und unsicheren Zukunft.
Seis drum, einen neuen Mythos oder gar ein zweites popkulturelles Phänomen für Generationen schafft man so zwar sicher nicht, aber das hat wohl auch niemand weder ernsthaft erwartet noch gefordert. Ist „Der Aufstieg Skywalkers" also ein schlechter Star Wars-Film? Nein, denn, um wieder mit Yoda zu enden, eine letzte Hoffnung es immer noch / nach wie vor gibt. Eine Figur hat sich all der Teflonierung, Glattbügelung und Wiederverwertung vehement widersetzt und rettet den Saga-Abschluss nicht nur vor den niederprasselnden Beliebigkeitsasteroiden, sondern erinnert uns auch daran, dass es noch Leben gibt im häufig tot gesagten Star Wars-Universum. Kylo Ren ist nicht nur der mit Abstand interessanteste Charakter der Sequel-Trilogie, er trifft auch einige unerwartete und weitreichende Entscheidungen. Das mag nach etwas Alltäglichem klingen, aber im heutigen Mainstreamkino sind das magische Momente. Und dann, auf leisen Sohlen, schleicht er sich dann doch wieder in Gehirnwindungen, Gehörgänge und Herzen, dieser eine, alles definierende Satz: „Die Macht wird mit dir sein, immer!"