Eine Kritik von "vodkamartini":
"Komm, hol das Lasso raus …, wir spielen bad boy und Diana“
Sich rückwärts in der Zeit bewegen um dort etwas zu reparieren, so wie in Christopher Nolans TENET, davon dürften in den letzten Monaten viele Hollywood-Bosse geträumt haben. Die Pandemie hat die Branche in eine ihrer größten Krisen gestürzt. Massenhaft Blockbusterfilme in der Warteschleife, der Hauptdistributionskanal dicht gemacht und kein Ende der Misere in Sicht. TENET war gleichzeitig der Versuchsballon für eine Kinoauswertung unter verschärften Bedingungen. Man hat sich wacker geschlagen, aber so richtig war am Ende keiner und viele der Meinung, da wäre so viel mehr drin gewesen. Nun also Option Nummer zwei. Ein Mix aus verschiedenen Streaming-Angeboten und reduziertem Lichtspieleinsatz. Auftritt WONDER WOMAN 1984. Auch das Superheldinnnensequel ging mit enormen Erwartungen und besten Aussichten ins Rennen, der poppige Trailer und das für DC-Verhältnisse traumhafte Einspiel des Erstlings gaben ordentlich Rückenwind. Als die ersten Reaktionen enttäuscht bis entsetzt ausfielen, war es um den Ruf des Films schon geschehen. Wenige können hier für eine deutliche Ansage sorgen, die sich im Netz zudem gewohnt rasend verbreitet. Dass mit dem breiteren Kinoeinsatz und mehr Streaming-Zuschauern des Resümee sukzessive freundlicher wird, kommt womöglich zu spät.
Aber ist der Film nun wirklich so schlecht? Kann er dem häufig gefeierten Original wirklich nicht das Wasser reichen? Nun, er ist definitiv ganz anders, in der Gewichtung, im Ton, beim Look. Man hat nicht einfach Teil 1 kopiert, sondern eine andere Richtung gewagt, das verdient schon mal Respekt. Die Düsternis, der Dreck, die angespannte Stimmung zur Zeit des Ersten Weltkriegs wird gegen die knallbunten, hedonistischen 80er Jahre getauscht. Größer könnte der Kontrast kaum sein. Hier muss unsere Heldin nicht in schlammigen Schützengräben für Gerechtigkeit sorgen, sondern darf in einer glitzernden Einkaufsmall ihr goldenen Lasso schwingen. Und das passt irgendwie. Ihr rot-blau-güldenes Kostüm jedenfalls fällt in all dem poppigen 80er-Chic gar nicht mehr auf, im Gegenteil, es fügt sich praktisch nahtlos ein.
Natürlich muss es mehr geben als nur ein paar böse Buben mit finsteren Absichten. Und auch da geht WW84 unerwartete Wege. Ging es im Original noch darum den finsteren Kriegsgott Ares vom Weitenbrand-Zündeln abzuhalten, so bekommt Diana es diesmal mit einem magischen Stein zu tun, der jeden einmal geäußerten Wunsch erfüllt. Das klingt schon deutlich freundlicher und ist es dann auch. Natürlich versucht erneut ein Übeltäter die übersinnlichen Kräfte für seine ganz persönlichen Interessen einzuspannen, aber mal ganz ehrlich, was ist schon der Größenwahn eines windigen Geschäftsmannes wie Maxwell Lord gegen die (allerdings ebenso frei erfundenen) Allmachtsphantasien des deutschen Generals Ludendorff? Und während Danny Huston (Ludendorff) bei seiner Darstellung auf süffisanten Zynismus und genießerische Gefühlskälte setzte, gibt Pedro Pascal (Lord) einen überkandidelten Schwätzer mit dem Schmierlappen-Charme eines klischeehaften Gebrauchtwagenhändlers. Pulpig sind letztlich beide Ansätze, aber gegensätzlicher könnten die Ausführungen kaum sein.
Der Wunschstein sorgt aber nicht nur für allerlei Chaos durch Lords Zweckentfremdung, er bringt Diana auch ihre große Liebe zurück. Ein Gewinn auch für den Film, denn die Chemie zwischen Pine und Gadot funktioniert nach wie vor. Steve Trevor ist aber nicht nur für den Romantikfaktor zuständig, sondern darf aufs Neue mit großen Augen durch eine ihm völlig fremde Welt stolpern. War er einst auf der Amazonen-Insel Themyscira gestrandet, verschlägt es ihn diesmal in die nicht minder bunte Welt der Mitt-80er-USA. Wieder darf er dabei allerlei in seinen Augen futuristisches Gerät bestaunen, was eine durchaus witzige Spiegelung des Originalfilms darstellt.
Pedro Pascals Maxwell Lord mag vielen als zu leichtgewichtiger Gegner für die übermächtige Kriegerin Diana vorkommen, obwohl Rolle und Ambitionen sehr gut mit dem insgesamt leichtfüßigeren Ansatz harmonieren. Außerdem muss er die Last des Bösen nicht alleine tragen. Diana bekommt es mit einem weiteren Gegner zu tun, der ungleich gefährlicher zu werden droht. Schließlich wünscht der sich nichts sehnlicher als so zu sein wie sie. Die Komikerin Kristen Wiig vollzieht die Transformation vom tollpatschigen häßlichen Entlein zum (Männer-)mordenden Vamp mit einem ironischen Augenzwinkern. Schade, dass Regisseurin Patty Jenkins bei dieser Figur hier und da übers Ziel hinaus schießt, aber insgesamt ist auch Barbara Minerva eine Bereicherung. Vor allem sorgt sie gemeinsam mit Diana für ein betont intimeres Finale, das sich wohltuend vom dem CGI-Konsolen-Overkill des Erstlings abhebt, der dort ordentlich Punkte verspielt hatte.
Will man herum mäkeln, wird man aber auch bei WW84 schnell fündig. Das so angesagte 80er-Jahre-Setting hätte noch mehr und noch authentischer ausgeschlachtet werden können, ja müssen, manchmal fühlt sich alles ein wenig zu gespielt und oberflächlich an, was umso mehr überrascht, da Jenkins mit Jahrgang 1971 zur Filmhandlung im so prägenden Teenager-Alter war. Auch gerät ihr der Handlungsfaden zur Filmmitte ein ums andere Mal aus den Händen, wenn der Wunschstein zu viele neue Fenster öffnet und eine Ägyptenreise unserer Helden offenkundig lediglich einer dringend benötigten Action-Sequenz dient. Auch wenn es als Erklärung platt klingt, aber der Film ist schlicht gut 15 Minuten zu lang geraten.
Dennoch ist er besser als sein momentan durchwachsener Ruf. Gald Gadot in der Hauptrolle ist eine Bank, keine Frage, aber WW84 hat noch mehr zu bieten. Der insgesamt ruhigere, positivere und mehr auf Dianas Innenleben zielende Ansatz ist sowohl spannend wie auch erfrischend. Die versteckte Insel Themyscira bekommt hier wesentlich weniger Aufmerksamkeit, aber die wenigen Szenen sind essentiell für den weiteren Film und seine Titelheldin. Die ist nämliche keineswegs perfekt, oder unfehlbar, sondern setzt auch unerlaubte Mittel ein um zum Erfolg zu kommen und ihren Ehrgeiz zu befriedigen. In ihrer transformierten Smithsonian-Kollegin Barbara schlägt diese „dunklere“ Seite voll durch, was wiederum der erwachsenen Diana den Spiegel vorhält. Das ist für einen quietschbunten Superheldenfilm durchaus bemerkenswert und zeigt vor allem eine andere Facette der vermeintlich makellosen Amazone. Bleibt zu hoffen, dass die vor allem erneut vornehmlich visuelle Pracht ihrer zweiten Mission sich nicht im Streamingsumpf der heimischen Wohnzimmer verliert. Denn eines dürfte sowohl Kritiker wie Sympathisanten nach der Sichtung vereinen: Das Blockbusterkino gehört genau dorthin, ins Kino.