Eine Kritik von "Herr Kees":
Christopher Nolan hat in den letzten Jahren einige (oft im wahrsten Sinne des Wortes) fantastische Filme konstruiert: MEMENTO, THE PRESTIGE und INCEPTION sind zeitlose Meisterwerke, die Sehgewohnheiten und Verstand herausforderten und auch noch mehrfachen Betrachtungen standhalten.
Der erste Eindruck von TENET ist ähnlich überwältigend: kryptische Informationen und herausfordernde Bilder brechen über den Zuschauer herein und man ist die meiste Zeit damit beschäftigt, den Film zu verarbeiten – von verstehen oder gar genießen ist man beim ersten Mal noch ein gutes Stück entfernt.
Doch dieses Mal hat Nolan sich etwas überhoben und mutet auch dem Zuschauer deutlich zu viel zu. Bei der zweiten Sichtung wird nämlich deutlich, dass es ordentlich knarzt im Gebälk der Geschichte. Und Nolan scheint bewusste Ablenkungsmanöver durchzuführen, um Mängel in der Stringenz seines Drehbuchs zu vertuschen: Da ist die bereits kritisch kolportierte Tonmischung, die in den meisten Kinos (nämlich in denen, die nicht Nolans höchsten Soundqualitätsansprüchen genügen) den Zuschauer so bedröhnt, dass er den Dialogen kaum zu folgen vermag. Da sind die häufig lediglich angerissenen Dialoge, die Coolness vortäuschen, jedoch auch so vage gehalten sind, dass sich der Autor nie festlegen muss, welcher Philosophie er denn nun anhängt und was zu erwarten ist. Da sind die zahlreichen MacGuffins, die die Handlung zusätzlich verschleiern – eine unzugängliche indische Waffenhändlerin im Hintergrund, ein gefälschtes Kunstwerk in einem High Security „Freeport“, eine Lebensrettung durch die Rückreise in der Zeit – all das sind künstliche Komplikationen, die TENET natürlich Schauwerte verschaffen, aber nichts bis wenig zur Haupthandlung beitragen. Auch die vielen nur minutenlangen Treffen an internationalen Schauplätzen sind zwar (ebenso wie der tendenziell chargierende Bösewicht) eine klare Bond-Reminiszenz, allerdings auch völlig unnötig – hier hätte es eine Videokonferenz genauso gut getan, die bestimmt auch sicherer gewesen wäre als in vollen Straßenbahnen lautstark den nächsten großen Überfall zu planen, sieht aber natürlich nicht so sexy aus. Und da sind natürlich die Effekte, die auch nach wiederholtem Sehen so irritieren, dass man geneigt ist, die dahinterliegende Mechanik der „Inversion“ einfach zu glauben, irgendwie wird das schon Sinn ergeben.
Doch Nolan verlässt sich ein wenig zu sehr auf seine Nebelbomben, im Gegensatz zu seinen gelungeneren Werken stellt sich bei TENET kein gänsehautmachender „Aha“-Moment ein, die Frustration überwiegt.
Lohnend ist TENET trotzdem: Der Kern dieser etwas unausgegorenen Geschichte – zukünftige Generationen erklären ihrer verantwortungslosen Vergangenheit den Krieg – ist großartig. Die Idee, Zukunftstechnologien in die Vergangenheit zu schicken, birgt enormes Potenzial. Und die Technik der Inversion ist schlichtweg irre umgesetzt – auch wenn insbesondere das etwas unübersichtlich inszenierte Schlachtenfinale immer noch für rauchende Köpfe sorgt.
So kann man TENET bei allen Mängeln sehr gut mehrmals ansehen, ohne sich zu langweilen. Nicht das schlechteste für einen Film, der in der Coronakrise die Welt des Kinos retten soll.
In diesem Sinne: „Don’t try to understand it. Feel it.“