Eine Kritik von "vodkamartini":
Im Sand verlaufen? - Denis Villeneuve auf Arrakis
„Unverfilmbarkeit“ ist ein Kriterium, das manch literarische Science Fiction- und Fantasy-Klassiker fast schon wie ein Prädikat vor sich her tragen. Ein heißes Rennen um den Thron lieferten sich lange Zeit Tolkiens „Lord of the Rings“ und Frank Herberts „Dune“, bis Peter Jackson kam, sah und siegte. Ab da gebührte David Lynch ganz allein die zweifelhafte Ehre, die obige These bewiesen zu haben. Aber vielleicht gibt es ja bald eine Wachablösung.
Fast 30 Jahre nach Lynch traut sich ein ebenfalls bildgewaltiger Visionär in die gnadenlose Wüste von Dune. Und der Kanadier Denis Villeneuve kommt mit einem ganzen Strauch an Vorschusslorbeeren. Sperrigkeit ist für ihn kein Hindernis. Ob düsterer Kindesentführung-Krimi (PRISONERS), finsterer Drogenkriegs-Thriller (SICARIO) oder philosophische Alien-Invasion (ARRIVAL), immer fand er ein erstaunlich großes Publikum. Vor allem aber visuell mauserte er sich zum stilistischen Ausnahmekönner mit stetig wachsendem Selbstbewusstsein. An ein Sequel von Ridley Scotts SiFi-Klassiker BLADE RUNNER hatte sich jedenfalls bis dato niemand gewagt. Warum also nicht auch noch der Wüstenplanet? Lynch jedenfalls kann dabei nur gewinnen, denn gleich ob Villeneuve triumphiert oder ebenfalls scheitert, sein Makel wäre vergessen.
Wer sich ein Urteil bilden will, der braucht vor allem Sitzfleisch. Unter zweieinhalb Stunden ist auch Villeneuves zweiter Klassiker-Reboot nicht zu haben. Angesichts der literarischen Vorlage ist diese Laufzeit aber noch knapp bemessen. Deshalb widmet sich Villeneuve auch nur der ersten Hälfte von Herberts erstem Dune-Roman, was aber aus Fan- und Zuschauersicht ein nicht unerhebliches Risiko birgt. Wer eine halbwegs abgeschlossene Geschichte sehen will, der wartet vielleicht lieber auf Teil 2, nur wird es den nicht geben, wenn niemand den ersten sieht. Vielleicht deutet auch deshalb nichts in den Trailern darauf hin, dass die Geschichte mit dem Film keineswegs auserzählt ist. Wenn dann auf der Leinwand „Dune - Part One“ erscheint, ist es schon zu spät.
Zeit ist also vorhanden und Villeneuve nutzt diese um Setting und Figuren in Stellung zu bringen. So lernen wir das Adelshaus Atreides kennen, angeführt von dem weisen Herzog Leto (Oscar Isaac) und seiner Konkubine Lady Jessica (Rebecca Furguson), Priesterin eines uralten Schwesternordens. Ihr gemeinsamer Sohn Paul soll den väterlichen Thron erben, wird von seiner Mutter aber gleichzeitig in die Geheimnisse ihres Ordens eingeweiht. Unterdessen erhält Leto vom Imperator das Lehen des Wüstenplanten Arrakis auf dem der wertvolle Rohstoff Spice gewonnen wird. Leto ahnt den Plan damit einen Krieg zwischen den Atreiden und den vormaligen Lehnsherren von Arrakis, den Harkonnen, zu provozieren, um so sein aufstrebendes Haus los zu werden. Aber niemand hatte so recht das einheimische Wüstenvolk der Fremen auf der Rechnung, das zudem auf einen ominösen Auserwählten wartet …
Villeneuve gelingt es in der ersten Stunde sehr gut, die vielen Namen und Absichten unterzubringen, ohne den Zuschauer zu verwirren. Die Welten, Uniformen, Interieurs und Bauwerke sind optisch so verschieden, dass eine Unterscheidung leicht fällt. Sie sind aber auch visuell so beeindruckend, dass das gemächliche Erzähltempo kaum auffällt. Die schwelgerische Opulenz der Bilder lädt zum Staunen und Verweilen ein, auch weil sie eben nicht durch hektische Schnitte oder Handlungssprünge gestört wird. Mittelalterliche Gewänder und Altägyptische Architektur treffen auf libellenartige (Kampf-)Hubschrauber, kubistische Raumschiffe und futuristische Rüstungen und schaffen eine faszinierend-fremdartige Atmosphäre. Die Lichtgebung von gleißend hell bis milchig düster arbeitet mit ähnlich harschen Kontrasten und vervollständigt mit Hans Zimmers gewohnt wummernden aber ungewohnt dissonanten Score ein filmisches Kunstwerk der Extravaganz.
Bei so viel Kunstbeflissenheit kann man aber schon mal ein paar Kernkompetenzen filmischen Schaffens aus den Augen verlieren. Hier trifft es das Erzählen und, eng damit verbunden, den Spannungsaufbau. Bei aller visueller Opulenz hat Villeneuve nämlich erstaunlich wenig, vor allem erstaunlich wenig Komplexes zu erzählen. Der provozierte Zwist zweier Herrschaftshäuser mitsamt Verrat, Krieg und finaler Flucht weniger, aber entscheidender Helden, ist angesichts der epischen Lauflänge ein narratives Leichtgewicht. Durch Pauls Visionen und Träume - visuell von Kameramann Greig Fraser (u.a. ROGUE ONE) wunderbar sphärisch in Szene gesetzt - weiß man praktisch von Beginn an, wohin Pauls Reise gehen wird und was vorher passieren muss, dass er sich auf eben diese begibt. Der Film wirkt somit wie ein überlanges Intro, wie ein Aufgalopp für etwas Größeres, Epischeres und auch Gehaltvolleres. Kurz gesagt: das Auge wird verwöhnt, während das Hirn mit Schonkost auskommen muss.
Immerhin spielen einige Darsteller mit Verve dagegen an. Vor allem Oscar Isaac und Rebecca Ferguson als tragisches Herrscherpaar machen die ganze Last von Verantwortung und Schicksal in Gestik und Mimik regelrecht greifbar. Charismatische Mimen wie Jason Momoa, Josh Brolin und Javier Bardem schubsen ihre von Skript und Regie sträflich vernachlässigten Charaktere immerhin noch gekonnt ins Rampenlicht. Timothée Chalamat allerdings leidet als jugendlicher Held Paul Atreides von Beginn an unter dem Wissen seiner Auserwähltheit und taugt so nicht zum Luke Skywalker-Pendant. Zendaya als seine offenkundig künftige Liebe taucht fast nur in Pauls Visionen auf und bleibt damit weitestgehend vom Wüstensand verweht. Wie schon bei ARRIVAL und BLADE RUNNER 2049 setzt Villeneuve weit mehr auf Stimmungen und Bildgewalt denn auf Figuren und deren Handlungen. Das funktioniert für diesen ersten Teil erstaunlich gut, zumal Seelenleben und audiovisuelle Ausgestaltung eine Einheit bilden, aber für eine Fortsetzung muss insbesondere hier ein Hebel umgelegt werden.
Den Malus der Unverfilmbarkeit dürfte „Dune“ mit Villeneuves Werk aber endgültig los geworden sein. Optisch und atmosphärisch trifft er perfekt den Ton der literarischen Vorlage, so dass man problemlos in die fremde(n) Welt(en) Herberts eintaucht. Die Handlung wird auf ihre wesentlichen Eckpunkte verdichtet und sehr geradlinig abgewickelt. All das geht aber fast schon zu glatt vonstatten, zumal Villeneuve das Eigenwillige, das Extravagante, das Gewagte und damit auch das Faszinosum des Lynch-Monsters abgeht. Im Verbund mit dem nicht gerade zur Identifikation einladenden Personal besteht damit die Gefahr der Gleichgültigkeit normaler Kinogänger, die man aber unbedingt benötigt, um eine ähnlich teure Fortsetzung überhaupt stemmen zu können. Sollte die ausbleiben, wäre das nicht nur schade angesichts Villeneuves zumindest audiovisuell packender Vision, sondern auch für David Lynchs DUNE, der seinen Ruf als Hybris-Projekt so nur noch weiter festigen würde.