Eine Kritik von "Vince":
Bewährter Geisterhorror von James Wan? Von wegen! Schon beim Prolog glaubt man, im völlig falschen Film zu sitzen. Das ist doch wohl Schmierentheater aus dem Nachtprogramm. Eine der tatsächlichen Hauptfiguren wird bestimmt gerade in ihrem viel zu großen Haus in einem viel zu großen Ohrensessel eingeschlafen sein und der Fernseher läuft noch. Ein Schnitt wird sicher bald Aufklärung leisten. Aber Fehlanzeige; was da mit dem hemmungslosen Feuereifer einer italienischen Billigproduktion auf die Leinwand geworfen wird, ist tatsächlich das erste Puzzleteil von „Malignant“.
Die altbekannte Geisterbahn wird anschließend trotzdem so unbeeindruckt von den Schienen auf hochgezogen, als hätte man die absurde Einführung schlichtweg geträumt. Lange Flure mit dunklen Tapeten, merkwürdige Geräusche in der Küche, offene Haustüren, schwebende Kamerafahrten aus der Vogelperspektive über die Zimmergrenzen hinweg - um keine Routine der letzten zehn Jahre ist der Regisseur verlegen, beinahe so, als sei dies einer seiner ganz normalen Horrorfilme. Schließlich klingt ja schon der Filmtitel nach Synonymsuche bei Thesaurus. Dass die Hauptfigur durch Visionen ungewollt zur Zeugin bei Morden wird, die durch eine maskierte Person verübt werden, liest sich wie ein einfaches Gimmick eines typischen Films dieser Sorte, vielleicht auch wie eine Entschuldigung, um die CGI-Künstler während eines Ballhaus-Kreisels aufwändige Haus-Morphing-Effekte zaubern zu lassen.
Das hätte solide Stangenware werden können, doch Wan entschloss sich dazu, dem Zuschauer mehr als das zu bieten. Vor Empörung über krude Twists aus der Mottenkiste möge ihm das Gesicht rot anlaufen oder er soll vor unerwarteter Erheiterung über die Couch hüpfen, Hauptsache, das Gezeigte brennt sich ein und sorgt für Gesprächsstoff. Da ist er endlich mal wieder, der bewährte Ich-glaub-nicht-dass-die-das-wirklich-so-abziehen-Effekt, dargeboten als waghalsiger Sprung aus dem Geisterfilm-Designerspiegel in die verrotteten Tümpel des Euro-Sleaze, während links und rechts die Scherben splittern.
Giallo-Elemente hallen plötzlich gellend durch die Kulissen, die eigentlich für ein ganz anderes Subgenre errichtet wurden, und sie bewegen sich so seltsam ungelenk und irreal hindurch wie der Killer selbst, der weniger Suspense und Horror verbreitet als vielmehr das aufregende Kitzeln einer von Haken und Ösen durchzogenen Achterbahnfahrt. Ein Stuntmensch flattert mit einem falsch herum angezogenen Ledermantel durch das Haus, über einen Dachboden und durch die unterirdische Altstadt Seattles, als sei er ein Artist auf einem Jahrmarkt; nur gelegentlich kommt bei den Verrenkungen das CGI zur Hilfe, oft reicht auch einfach die gute alte Physik, um eines der faszinierenderen Monster der jüngeren amerikanischen Horrorfilmgeschichte zu erschaffen. Und während man noch versucht, die verzerrten Bilder in einen synchronen Ablauf zu ordnen, setzt sich auf Drehbuch-Ebene fast unbemerkt ein Puzzleteil nach dem anderen zusammen.
Der daraus schließlich entstehende Twist und all seine Folgeentwicklungen sind absurd, aber nun auch wieder nicht so sehr, dass man so etwas noch nie gesehen hätte; nur eben nicht in dieser Art Film. In gewisser Weise ist „Malignant“ also eine Attacke auf das Schubladendenken und eine Ode an die unerschöpfliche Vielfalt des Horrorfilms, der in der Summe vielleicht mehr Abwechslung zu bieten hat als alle anderen Genres; eine Stärke, die nun endlich mal wieder gebührend hervorgehoben wird.