Eine Kritik von "die hinkende Hafenhoe":
John Waters’ 1971 unter billigsten Bedingungen (natürlich in Baltimore) entstandener Underground-Trash zählt für mich zu seinen stärksten und kraftvollsten Werken. Gerade im Vergleich zu den heutigen durch Harmlosigkeit und Naivität enttäuschenden Comedy-Gurken des Regisseurs, wirkt "Multiple Maniacs“ wie ein Film von einem anderen Stern.
Divine mimt sich hier (mal wieder) selbst: Sie ist der affektierte und Polizisten mordende Star einer kranken Freakshow, die spießbürgerliche Zuschauer mit den widerwärtigsten Attraktionen lockt. Wild küssende Schwule, Achselhaarfetischisten, sexbesessene Wahnsinnige und, wie soll ich sagen ... "Kotzefresser“ zählen zu den dargebotenen Höhepunkten. Der Psychozirkus wird selbstverständlich von der massigen Präsenz Lady Divines gekrönt.
Die schmutzige Idylle nimmt ihr Ende, als sich Divines Liebhaber in eine arrogante Tussi verguckt. Es scheint ihm mit der blonden Schlampe ernst zu sein, denn Divine zu betrügen, gleicht einem unterschriebenen Todesurteil. Bevor die vor Eifersucht rasende Divine die Turteltauben jedoch ins Jenseits schicken kann, wird sie von zwei Klebstoff schnüffelnden Obdachlosen vergewaltigt. Durch dieses erschütternde Erlebnis geprägt, sucht sie eine Kirche auf, um den Allmächtigen zu befragen. Im Hause Gottes trifft unsere extravagant gekleidete Heldin auf die Hardcore-Lesbe Mink Stole (spielt sich ebenfalls selbst). Nachdem es beide auf der Gebetbank miteinander getrieben haben, ist eine gemeinsame Zukunft beschlossene Sache. Vorher soll allerdings noch der betrügerische Freund und seine Matratze dran glauben.
Es kommt alles ganz anders als geplant und das Geschehen mündet in einer blutigen Tragödie, in welcher Divines Macker, Divines Tochter, der Macker von Divines Tochter, die Ische von Divines Macker und sogar Mink wahlweise erschossen, erstochen oder verspeist werden.
Nicht ohne vorher noch von einem an Schnüren aufgehängten, überdimensionalem Krebstier vergewaltigt worden zu sein (!!!), begibt sich die traumatisierte und von der Gesellschaft ausgestoßene Divine tollwütig sabbernd auf einen finalen Rachefeldzug. Der Wahnsinn kann letztendlich durch eine bewaffnete Polizistentruppe gestoppt werden.
Das müssen noch Zeiten gewesen sein, als Waters und seine Truppe Kannibalismus, Perversion und Blasphemie zelebriert haben, als gäbe es kein Morgen mehr. "Multiple Maniacs“ besticht durch die komplette Ignoranz der Vorstellung, wie ein abendfüllender Spielfilm auszusehen hat.
Abgesehen von einigen langatmigen Dialogszenen (die dafür aber mit Sätzen wie "I love you so fucking much, I could shit" begeistern) springt dieser Film von einem Highlight zum nächsten. Das durchweg aggressive Auftreten und Handeln der Figuren verleiht "MM“ einen regelrecht hysterischen Grundton. Hinsichtlich der Kameraführung und Schnitttechnik könnte man von völligem filmischen Unvermögen sprechen, wäre der technische Dilettantismus nicht ein die dreckige Geschichte unterstützendes Element. Ganz so schlimm wie in "Pink Flamingos“, in dem Waters atemberaubend nichts sagende Bildausschnitte wählte, sind die Schwarzweißbilder in "Multiple Maniacs“ zwar nicht, aber man kann dennoch von einer "hingerotzten“ Optik sprechen.
"MM“ in der heutigen Zeit zu sichten, führt leider auch zu traurigen Erkenntnissen: Was ist nur aus dem Mann geworden, der einst zuckende Arschlöcher, Inzest-Blow Jobs und die Hundekot fressende Divine in Großaufnahme präsentierte? Es ist verständlich, dass man nicht bis in alle Ewigkeit provozieren und sich dabei stetig übertreffen kann, aber wenn die Zeit aufzuhören gekommen ist, sollte man auch wirklich aufhören. Stattdessen fährt John Waters schon seit längerem die einfallslose Comedy-Schiene, was in Anbetracht seiner früheren Meisterwerke des schlechten (oder eher guten) Geschmacks einfach schade ist. Dennoch gilt die tröstende Gesetzmäßigkeit: Was Kunst war und ist, das bleibt auch Kunst.
Lang lebe die filmische Revolution!