Eine Kritik von "PierrotLeFou":
Nach "Paroxismus" (1969), dem psychedelisch-bunten Fiebertraum um Sadismus, Rache und die Grenze zwischen Leben & Tod zu wilden Jazz-Klängen, dürfte "Miss Muerte" einer der besten Filme Francos sein, der (zumindest hierzulande) vor allem mit den weniger gelungeneren seiner beinahe 200 Filme in Verbindung gebracht wird... trotz Ehren-Goya für sein Lebenswerk und Retroperspektive der Cinémathèque Française gilt der spanische Regisseur in erster Linie als bestenfalls kultiger Trashfilmer, als schmuddeliger Pornograph, geiler Voyeur (eine Bezeichnung, die er sich mehr oder weniger selbst verschafft hat) und Schöpfer schluderig-schlampiger Grusel-Sex-Filmchen. Gänzlich unberechtigt ist das ganz sicher nicht, denn in den 70er Jahren ließ die Qualität seiner Werke allmählich nach, sodass diejenigen, die in Franco zuvor einen der bedeutendsten Vertreter des phantastischen Erotikfilms sahen, ihre Enttäuschung nicht verbergen mochten.[1]
Doch zumindest in den 60er Jahren ging ein großer Teil seiner Arbeiten über bloße Eigenwilligkeit und Experimentierfreudigkeit deutlich hinaus und wies noch sauberes Handwerk und künstlerisch ambitionierte Bildkompositionen auf, was seine späteren Filme vielfach vermissen ließen.
In dieser Hinsicht kann auch "Miss Muerte" rumdum überzeugen, wenn die Handlung auch so trivial wie nur möglich ausfällt: Dr. Zimmer erleidet [Achtung: Spoiler!], als er seine Visionen von Willenssteuerung und Menschenexperimenten vorträgt, nach den Schmähungen seiner Kollegen einen tödlichen Herzinfarkt. Zimmers Tochter Irma, die ihren Unfalltod vortäuscht (und dabei versehentlich ihr Gesicht verunstaltet) macht sich daraufhin mit den Erkenntnissen ihres Vaters daran, Mitmenschen gefügig zu machen und auf die Ärzte zu hetzen, denen sie die Schuld am Tode ihres Vaters zuschreibt - unter den Täterinnen ist auch die titelgebende "Miss Muerte" (die im dt. Titel gegen Dr. Z eingetauscht wird), eine aufreizende Nachtclub-Schönheit, die nun die Ärzte verführt und mit vergifteten Fingernagelspitzen ins Jenseits schickt.
Dieser frühe Franco, dem in etwa sieben Jahren allerdings schon 10 ganze Spielfilme vorausgegangen sind, ist in gewisser Weise schon die Quintessenz seiner populäreren Werke - etliche Themen und Motive aus seinen erotischen und phantastischen Filmen lassen sich bereits finden: Das Motiv der Gesichts-OP - freilich inspiriert vom Kult-Klassiker "Les Yeux sans visage" (1960) des französischen Kino-Poeten Georges Franju - inszeniert er hier (als ein Motiv unter vielen weitern) kaum zwei Jahre nach seinem Debut-Grusler "Gritos en la noche" (1962) erneut und sollte auch später zu dieser Thematik zurückkehren (leicht variiert in "El siniestro doctor Orloff" (1984), wieder etwas klassischer in "Faceless" (1988)); das Motiv der mörderischen Schönen, die der Reihe nach eine Gruppe von Männern verführt und ermordet, sollte sich ebenfalls mehrfach wiederfinden lassen - "Paroxismus" und "Sie tötete in Ekstase" (1971), wo erneut der vom Spott der Kollegen verursachte Tod eines Wissenschaftlers gerächt wird (diesmal von dessen Lebensgefährtin), sind die offensichtlichsten Beispiele. Dass es sich bei den Täterinnen um entsprechend konditionierte Werkzeuge größenwahnsinniger Finsterlinge handeln konnte - wie in "The Blood of Fu Manchu" (1968) oder dem poppig-bunten "The Girl from Rio" (1969) - ist eine Variation dieser Thematik, die es Franco erlaubte, Gehirnwäschen und Manipulationen mit ins Spiel zu bringen, was auch in "Miss Muerte" der Fall ist: die Täterin mordet hier schließlich kaum selbst, sondern schickt die willenlosen Opfer ihrer Experimente los; der Weg vom unterbelichteten, gefügig gemachten Handlanger Dr. Orloffs in "Gritos en la noche" (1962) und "El Secreto del Dr. Orloff" (1964) bishin zu den quasi ferngesteuerten Armeen düsterer Weltherrschaftsfanatiker in bester "Dr. Mabuse"-Tradition, die Ende der 60er, Anfang der 70er en vogue waren, findet hier in "Miss Muerte" ein wichtiges Verbindungsstück in Francos Œuvre, das 1966 mit "Cartes sur table" einen weiteren Vertreter dieser Thematik aufweist.
Und letztlich wäre da noch die ausgiebige Performance einer recht durchsichtig bekleideten Schönen, die Franco hier erstmals als kleine Nummer in den Fluss der Handlung einschiebt: solche Strip-, Tanz- und Räkelszenen ziehen sich von "Bésame Monstruo" (1967) über den von Fritz Lang ordentlich gelobhudelten "Necronomicon - Geträumte Sünden" (1967) und "Paroxismus", "Les Cauchemars naissent la nuit" (1970), "Vampyros Lesbos" (1971), "Sie tötete in Ekstase" und "Exorcisme" (1974) durch einen Großteil seiner Filme, um in seinem Spätwerk endgültig als minutenlange Soft- und Harcdore-Erotiknummern die Filme zu strecken, deren Handlung dem Publikum so egal sein dürfte wie Franco selbst.
Die Gestaltung des Ganzen lässt dabei einen großen Anteil aller Francos deutlich hinter sich: nebelverhangene Seitengassen, idyllische Landschaftsaufnahmen, spiralförmige Bildkompositionen mit Wendeltreppenmotiv, bizarre Kulissen bei den Nachtclub-Bühnenshows, kontrastreiche s/w-Bilder, die ihre Herkunft aus dem expressionistischen Film und dem davon beeinflussten film noir deutlich zeigen, ungewöhnliche und dennoch zweckdienliche Kameraperspektiven samt sorgsamen (wenngleich unaufregenden) Kamerafahrten, eine teils ausdrucksstarke Beleuchtung, der hochwertige Soundtrack und eine sorgfältige Ausstattung (wenn auch in den Laboratoriums-Szenen unerhört verkitscht) sorgen für ein weitestgehend hohes ästhetisches Niveau, das dem deutschen expressionistischen Stummfilm, dem Universal-Horrorfilm der 30er Jahre und dem film noir gleichermaßen huldigt.
Dass vereinzelte Momente der Handlung recht lachhaft wirken und die Mad Scientist Gerätschaften entweder eine enorme Naivität oder reichlich augenzwinkernde Ironie verraten, lässt den trivialen Charakter des Ganzen nahezu andauernd zutage treten - aber kaum ein Film dieser Sparte hat seinem Stoff solch ästhetisierende Bilder zukommen lassen.
Schaut man sich die Werke renommierter Regisseure an, die sich im Zuge des Erfolgs von Superschurken-Filmen wie "Die tausend Augen des Dr. Mabuse" (1960), "Dr. No" (1962), "Fantômas" (1964) oder "The Face of Fu Manchu" (1965) an diesen Stoffen versuchten, so kann man wohl sagen, dass sie nicht nur kaum weniger naiv anmuten, sondern oftmals auch formal viel weniger zu bieten haben: Fritz Langs "Die tausend Augen des Dr. Mabuse" ist in dieser Hinsicht ein doch etwas enttäuschendes Spätwerk, und auch Franjus "L'Homme sans visage" (1973) und Chabrols späte Hommage "Docteur M." (1990) zeigen die Regiegrößen von ihrer schwachen Seite. (Allenfalls Bavas "Diabolik" (1968) und Franjus "Judex" (1963) machen als - allerdings kaum reinrassige - Vertreter dieser Sparte Franco noch harte Konkurrenz.)
Francos Miniatur-Superschurke Dr. Z (bzw. dessen Tochter) ist zwar nur eine Vorstufe zu solchen Allmachtsphantasien-Charakteren, die eben zum Teil noch dem Gothic Horror Aspekt von Francos "Dr. Orloff"-Stoff verhaftet ist - aber in seiner Umsetzung ist er mit das beste, was auf diesem Gebiet zu finden ist: formal überdurchschnittlich (und über die Schwächen der Story helfen ein paar bewusste Albernheiten und die Auftritte von Howard Vernon und dem jungen Jess Franco höchstpersönlich hinweg).
7,5/10
1.) Etwa Fernand Jung, Claudius Weil und Georg Seeßlen in "Enzyklopädie des populären Films" (Roloff & Seeßlen 1977) oder Leo Phelix und Rolf Thiessen in "Pioniere und Prominente des modernen Sexfilms" (Goldmann 1983).