Eine Kritik von "McClane":
Der dänische „Ambulance“ von 2005 zog nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie etwa „Nightwatch“ oder „The Guilty“ auf sich, die zeitig neu verfilmt wurden, aber mit 17 Jahren Abstand wagte sich Actionpapst Michael Bay an eine Hollywoodversion des Stoffes.
Dabei behält das Script von „Chuck“-Creator Chris Fedak nur die Grundidee des Stoffes bei, macht aus dem 76-minütigen Low- bis No-Budget-Werk jedoch einen teuren Kracher mit über zwei Stunden Laufzeit. Stieg das Original unvermittelt ein, so stellt das Remake erst einmal seine Hauptfiguren vor. Cam Thompson (Eiza González) ist die beste Rettungssanitäterin von L.A., wegen ihrer Kaltschnäuzigkeit und ihrer abweisenden Art nicht gut bei den Kollegen gelitten. Ex-Soldat Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) hat Geldprobleme, da die Versicherung nicht zahlen kann, seine Frau jedoch schwer an Krebs erkrankt ist. Will hat noch einen Bruder, Danny (Jake Gyllenhaal). Der hat all seine Knete in ein eigenes Geschäft investiert, das aber auch nicht gut läuft.
Als Will seinen Bruder um Geld fragen will, bietet der ihm die Lösung an. Zusammen mit einer kriminellen Crew plant Danny als früherer Bankräuber-King und Sohn eines Berufsverbrechers das Familiengeschäft wieder aufleben zu lassen, um sich der Geldsorgen zu entledigen. In einem gut geplanten Coup erbeutet man eine Millionensumme, doch dann durchkreuzen ein verliebter Cop namens Zach (Jackson White) und mäßig kompetente Komplizen den sauberen Ablauf, zumal die Polizei vor den Türen wartet. Daraus wird jedoch kein „Dog Day Afternoon“, sondern eine Schießerei im „Heat“-Stil, bei der die Komplizen hops gehen und das Fluchtauto zum rauchenden Schrotthaufen wird.
Als Zach angeschossen wird, sollen Cam und ihr Kollege den Schwerverletzten versorgen, kreuzen dabei jedoch den Weg von Will und Danny. Die kapern den Rettungswagen mit Cam und Zach an Bord, haben aber bald die komplette Polizei von L.A. und eine Sondereinheit des FBI an den Hacken…
„Ambulance“ ist tatsächlich eines jener Remakes, das nicht einfach nur die gleiche Geschichte zeitlich oder örtlich updatet, sondern eine klare Variation des Themas. Zuallererst ist da natürlich der Budgetrahmen: Ein Autocrash in der Bay-Version dürfte vermutlich ähnlich viel gekostet haben wie der komplette Originalfilm. Zudem ist das Remake ein Bay-Film durch und durch, was man gerade an der extravaganten Kameraarbeit sieht: Diese steht selten still, umrundet Figuren und Gebäude, vollführt spektakuläre Fahrten durch die Straßen und an Gebäudefassaden entlang. Natürlich dürfen Signature Shots wie die 360-Grad-Kamerafahrt nicht fehlen, ebenso wenig die typische Bay-Videoclip-Hochglanz-Optik, auch wenn sie hier ein wenig mehr gritty als in früheren Filmen des Regisseurs ist. Auf genau jene finden sich auch Anspielungen im Dialog: Zachs Partner Mark (Cedric Sanders) zitiert den Prom-Queen-Spruch aus „The Rock“ inklusive Quellenangabe, eine andere Figur hingegen bezieht sich in einer anderen Szene auf „Bad Boys“.
Auch die Hintergrundgeschichten der Figuren wurden geändert. Beim verstorbenen Vater handelt es sich hier nicht nur um das Familienoberhaupt, sondern um einen Gangster. Will ist zudem nicht Dannys leiblicher Bruder, sondern adoptiert. Danny wiederum hat einen faszinierenden Background: Er studierte selbst Kriminologie, um die Taktiken der Behörden besser zu verstehen, kennt daher sogar Anson Clark (Keir O’Donnell), den leitenden FBI-Agenten der Abteilung für Bankenkriminalität, aus seiner Studienzeit persönlich. Dass man hier eigentlich keine Schüsse und keine Toten bei dem Überfall will, ist nicht der puren Menschenfreundlichkeit, sondern der Professionalität geschuldet. Dass das Drehbuch aus dem Notfallpatienten des Originals hier einen schwerstverletzten Cop macht, erweist sich als kluger Schachzug: Die Geisel wird dadurch wertvoller, gleichzeitig sind die Verfolger umso mehr darauf bedacht einerseits ihren Mann da heil und sicher rauszuholen, andrerseits sind die bereit umso härter Vergeltung zu üben, wenn diesem etwas passiert. Mit Anson, Mark, dem toughen SIS-Chef Captain Monroe (Garret Dillahunt) und der sprücheklopfenden Überwachungsspezialistin Dzaghig (Olivia Stambouliah) hat der Film zudem auf der Verfolgerseite charismatische Figuren und Gesichter, was die Spannung erhöht.
Geblieben ist dagegen die Konzeption als Thriller mit beengtem Zeitrahmen und dem Krankenwagen als Haupthandlungsort, jedoch ohne die Verdichtung des Originals: Immer wieder verlässt der Film die Ambulanz, um das Wirken anderer Figuren zu zeigen, auch das Echtzeitkonzept wird zugunsten einiger Zeitsprünge aufgegeben. Doch erinnert auch dieser Film an Vorbilder wie „Speed“ oder „Fluchtpunkt San Francisco“, wenn die Protagonisten nach dem Klau des titelgebenden Vehikels quasi nur in Bewegung sind, oft gar nicht anhalten können. Mit Notoperationen in voller Fahrt, geschicktem Taktieren von Cops und Räubern sowie der angespannten Stimmung an Bord hält „Ambulance“ den Spannungspegel hoch, gerade wenn Cam zunehmend zwischen die Fronten gerät.
Die Differenzen der Brüder sind weniger stark ausgearbeitet als im Original, jedoch immer noch entscheidend: Danny ist eher bereit als Will, vom ursprünglichen Plan ohne Tote abzuweichen, gleichzeitig gibt es Probleme aus der Vergangenheit, da Will sich eigentlich von seiner kriminellen Familie lossagen und ein neues Leben starten wollte. Die Konflikte wirken teilweise organischer als im Original, auch wenn „Ambulance“ auf der Schlussgeraden etwas strauchelt: Der Konflikt wird mit reichlich Pathos und etwas Kitsch auf die Spitze getrieben, was dann besonders seifig wird, wenn Cam erkennt, dass sie sich persönlich doch mehr um das Wohlergehen ihrer Patienten sorgen muss, diese nicht bloß als reines Arbeitsmaterial sehen darf.
Doch Spannungsszenen hin, Charakterdrama her, „Ambulance“ ist natürlich vor allem eines: Knallige Michael-Bay-Action. Die Verfolgungsjagd geht mit reichlich Blechschäden ab, wenn Fahrzeuge über Abhänge sausen, sich bei Kollisionen überschlagen oder durch Leitplanken rasen, gerne auch mal mit explosiven Einlagen. Neben verschiedenen Polizeiwagen nehmen auch noch Helikopter teil, außerdem sprechen zwischenzeitlich auch mal die Waffen. Das fetteste Shoot-Out gibt es zwar beim Bankraub zu Beginn, jedoch sorgen auch andere Einlagen für Munitionsverbrauch, vor allem durch das Eingreifen einer Latino-Gang, die so hübsche Spielzeuge wie einen fernsteuerbaren Wagen mit Gattling Gun hat. Dabei ist die Action komplett handgemacht und in Sachen Ruppigkeit näher an Bays traditionellen Actionfrühwerken dran. Schnitt und Inszenierung sind Bay-typisch dynamisch, sorgen zwar an ein, zwei Stellen für Übersichtsverlust, garantieren aber meist kinetische Action mit Adrenalinrausch.
Für eine temporeichere Erfahrung hätten es allerdings vielleicht auch 20 Minuten weniger auf der Uhr getan. Denn bisweilen wiederholt sich das Katz-und-Maus-Spiel etwas, auch wenn der Film sich Mühe zur Variation gibt, wenn Cops und Räuber einander austricksen wollen, doch die Möglichkeiten sind halt begrenzt. Für Auflockerungen sorgen hingegen ein paar coole Sprüche, vor allem aus den Mündern von Monroe und Dzaghig, die zur typischen Bay-Konzeption von Gesetzeshütern als coolen Tough Guys passen. Ebenfalls typisch für den Regisseur ist sein Hundefaible, dieses Mal in Form von Monroes monströsem Köter, der für ein paar Comedy-Einlagen gut ist.
Vor allem die Besetzung der beiden Hauptrollen ist edel. Jake Gyllenhaal trumpft als Meisterverbrecher auf, der blitzschnell vom charmanten Gentleman-Gauner zu pragmatischer Gewaltanwendung umschalten kann und im Laufe der Jagd seine Felle immer mehr davonschwimmen sieht. Ebenso stark ist Yahya Abdul-Mateen II als überrumpelter Veteran, der ohne nachzudenken in die Sache hineingeschlittert ist und nur nach einem Weg sucht, um alle Beteiligten heil aus der Sache herauszubringen. Ausgerechnet Eiza González fällt leider etwas ab. So löblich und willkommen ihre toughe und kompetente Frauenrolle ist, so wirkt ihr Spiel immer etwas aufgesetzt, gerade beim Switch von der leicht arroganten Unnahbaren zur Sanitäterin mit Herz. Garret Dillahunt dagegen ist mal wieder eine Bank, doch auch frischere Gesichter wie Keir O’Donnell, Olivia Stambouliah, A Martinez und Jesse Garcia wissen Akzente zu setzen.
So ist „Ambulance“ der Film geworden, den man erwarten durfte: Eine fast filmlange Verfolgungsjagd in typischer Bay-Optik, mit spektakulären Actionszenen und famoser Kameraarbeit, die das Publikum in erster Linie in die Kinosessel drücken möchte. Die Charakterzeichnung ist stimmig, ein großes Drama wird trotzdem nicht draus, mögliche Subtexte wie der Zustand amerikanischer Krankenversicherungen sind nur Aufhänger für den Actionrausch. Der könnte sich gerne etwas kürzer fassen und wird auf der Schlussgeraden doch unschön triefig und pathetisch, aber dynamische, handgemachte Action mit ordentlich Bayhem liefert „Ambulance“ ab.