
Eine Kritik von "vodkamartini":
Decathlon hinterm Steuer
Der Zehnkampf ist nur etwas für die ganz besonderen Athleten. 10 unterschiedliche Disziplinen auf höchstem Niveau fordert den Teilnehmern alles ab und endet nicht selten mit völliger physischer wie mentaler Erschöpfung. Die Männer und Frauen um Raser-und Heist-Modellathlet Dom Torretto sind ebenfalls mit ganz besonderen und vor interdisziplinären Talenten gesegnet. Da gibt es nicht nur Virtuosen am Gaspedal und Schraubenschlüssel, sondern auch noch allerlei (Schuß-)Waffenexperten, Martial-Arts-Asse und Hacker-Genies. Und die werden samt und sonders dringend benötigt, schließlich ist jede Mission ein Wettkampf auf allerhöchstem Niveau, bei dem der allerhöchste Einsatz schlicht als Mindestanforderung für den Erfolg gilt.
Während die ersten „Fast 6 Furious“-Filme noch als Trainingsprogramm oder Aufwärmungen durchgehen, befindet man sich spätestens ab Teil 5 im Wettkampfmodus und muss immer wieder aufs Neue sämtliche 10 Disziplinen bewältigen. Konkret bedeutet das ein Parcours aus Infiltration, Diebstahl, Autorennen, Verfolgungsjagd, Faustkampf, Feuergefecht, Explosion, Antischwerkraft-Stunt, Barbecue und Sonntagsrede.
Inzwischen ist man dabei in der zehnten Runde angelangt, die doppelte Decima also. Und wie bei den Königen der Athleten zeigen sich auch bei den Königen der Proleten in der zweiten Wettkampfhälfte langsam aber sicher deutliche Abnutzungserscheinungen. Am ersten Wettkampftag, also den Filmen 5 bis 7, steht man meist noch voll im Saft und haut im Idealfall die ein oder andere Bestleistung raus. Am zweiten Tag geht es hauptsächlich darum, seinen Platz zu halten und irgendwie ins Ziel zu kommen. Die vorhergehende Disziplin bzw. Mission zu toppen erweist sich dabei als zentrale Schwierigkeit, die, wenn überhaupt, nur mit noch höherem Aufwand bewältigt werden kann, was dann wiederum die Abnutzungserscheinungen weiter befeuert.
In der Logik der Schnellen und Wilden bedeutet das immer irrwitzigere (Auto-)Stunts, immer mehr namhafter Cast-Zuwachs und eine immer kürzere Taktung zwischen all den Krach-Bum-Bäng-Momenten die längst zum Markenzeichen avanciert sind. Aber diese nimmermüde Bleifuß-Mentalität hat natürlich auch ihren Preis. So hat man bezüglich den Gesetzen der Physik längst die Bodenhaftung verloren und bei dem sich immer schneller drehenden Personen-Karussell den Überblick. Vor allem aber hat man die emotionale DNA der Serie auf dem Altar der gehetzten Krawall-Orgie geopfert. Denn bei allem überbordendem Lärm, bei all dem machohaften Getöse und bei all den glitzernden Oberflächenreizen war die Toretto-Gang auch immer eine sympathisch-dysfunktionale Großfamilie, deren oft prosaischen Gerede von Treue, Ehre und Freundschaft dennoch auf seltsame Weise authentisch und aufrichtig wirkte. Sie waren wie eine moderne Robin Hood-Bande, mit bulligen Boliden anstatt Pfeil und Bogen und mit Los Angeles, später dann der ganzen Welt, als Sherwood Forest. Obgleich offenkundig außerhalb der Gesetzte stehend, gab es nie den leisesten Zweifel an ihrer aufrechten Gesinnung und solche Underdogs mit dem Herz am rechten Fleck gehörten schon immer zu den größten Publikumslieblingen.
All das wissen die Macher um „Fast 10“ natürlich auch, nur haben sie immer mehr Mühe die Balance zwischen Silentio und Crescendo, zwischen Emotion und Sensation zu finden. So finden sich im neuen Film erneut ruhige Momente in denen Dom (Vin Diesel) und Lettie (Michelle Rodriguez) ihr kleines Familienglück genießen, solche in denen Dom und seien Crew die Werte von Gemeinschaft und Freundschaft hoch halten, aber anders als in früheren Filmen wirken sie wie Fremdkörper, wie pflichtschuldig abgehakte Aufgaben auf einer To-do-Liste. Man will den Zuschauer viel lieber mit neuen Kämpfen, Rasereien und Karambolagen bombardieren.
Natürlich ist der Auftakt, bei dem die Macher eine riesige Kugelbombe gleich einer Abrißbirne durch Rom poltern lassen ein typischer Fast-and-Furious-Gaga-Moment, für den nicht wenige das Kinoticket lösen. Dass dieser im weiteren Verlauf allerdings nicht mehr getoppt werden kann, ist schon weit weniger Franchise-würdig. Die beiden bereits aus dem Trailer bekannten Highlights bei denen Dom per Auto zwei Hubschrauber zusammen klatscht und einen explodierenden Staudamm hinunter rast sind deutlich kürzer und erkennbar computerunterstützt.
Mehr Spaß machen da schon die diversen Handgreiflichkeiten, bei denen Charlize Theron und Jason Statham zeigen, dass sich im aktuellen A-List-Kader bekannter Mimen niemand mit ihnen messen kann, geschweige denn anlegen sollte. Allerdings hat man untrügliche Gefühl, das beide ihre früheren Rollen nur aus diesem Grund wieder aufleben lassen und ihre Relevanz für die Haupthandlung sehr überschaubar ausfällt. Das gilt in noch stärkerem Maß für Stathams Filmmutter Helen Mirren, Regierungsagent Little Nobody (Scott Eastwood) sowie Neuzugang Brie Larson als Tochter seines verstorbenen CIA-Bosse Mr Nobody (Kurt Russel). Selbst die Stamm-Crew um die beiden Streithähne Roman (Tyrese Gibson) und Tej (Ludacris) sowie Hacker-Genie Isabel (Daniele Melchior) und den wieder auferstandenen Han (Sung Kang) darf diesmal nur abseits der Piste ein wenig Gummi geben.
Dass der unangenehm reißbrettartige und ideenarme Film dennoch seine spaßigen Momente hat und nie langweilig wird, verdankt er seinem Antagonisten. Das uralte Gesetz, dass die Qualität eines Films eng an die seines Gegenspieler geknüpft ist, wird hier mal wieder zementiert. Jason Momoa gibt als Sohn (Dante) des in Teil 5 auf- und abtretenden Gangsterbosses Hernan Reyes eine Galavorstellung. Mit sichtlichem Spaß an seiner duschgeknallten Psychopathen-Figur dominiert er sämtliche seiner Szenen und packt alle Lacher des Films auf sein Konto. Dantes Motivation ist dabei so simpel wie alt und lediglich Mittel zum Zweck. Wieder einmal geht es um Rache, schließlich wurde Reyes im großen Finale von Doms Freund/Feind Luke Hobbs erschossen. Und da Dom als Kopf der Bande Raubzug und Zerschlagung des Reyes-Imperiums zu verantworten hat, soll er nun leiden. Schließlich will der extrovertierte und exaltierte Geck nicht einfach nur sein Gemüt kühlen, er will vor allem Spaß daran haben. Uns so hetzt er Dom mitsamt Großfamilie um den halben Globus und testet deren Wettkampfform in sämtlichen oben erwähnten Disziplinen. Dom Toretto bleibt dabei immer noch der König der Diebe, auch der Hiebe, aber in Sachen Charisma und Alphatiergehabe läuft ihm Dante klar den Rang ab.
Für den mehrfach angeteaserten 11. Film ist das Fluch und Segen zugleich. Einerseits kann man sich auch dort auf einen Weltklasse-Badguy freuen, der den vermutlich wieder vereinten Schwergewichten Vin Diesel und Dwayne Johnson die Hölle heiß machen wird. Andererseits hat er unseren Boliden-Helden auch ziemlich hölzern aussehen lassen und als hohles Pathossprachrohr und humorloses Bleifuß-Biest wollen wir ihn nicht noch einmal sehen. Ein Überdenken der Trainingsmethoden und eine Neuausrichtung des früher so klaren Fokus sind also gefragt. Der Zehn-Filme-Kampf hat Spuren hinterlassen, das ist deutlich geworden. Will man den Titel als Könige der filmischen Krawall-Athleten verteidigen, dann muss man sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. In den geschundenen Körpern und Chassis steckt noch immer genug Energie für einen letzten Triumph. Das Motto ist simpel: „Go back on track. Fast and furious.“